HÖRERLEBNIS 47
"12 Memories" von Travis
Erinnerung und Krise
von Heidi-Melanie Maier (Mitarbeiterin dieser Ausgabe)
Ja, das neue Album von Travis klingt verdächtig nach den Beatles. Ja, es ist wenig subtil ein Album "12Memories" zu nennen, auf dem sich elf Stücke und ein versteckter Bonustrack finden. Und ja, es ist albern, mit Anfang 30 voller Ernsthaftigkeit von Midlife-Crisis und Aufbruch in einen neuen Lebensabschnitt zu parlieren. Und nochmals ja, keiner will mehr die unerträglich sentimentalen Geschichten der Band zu eben diesem Album hören, das nach dem schweren Unfall des Drummers Neil Primrose entstand, aus spontanen und intuitiven Recordingsessions hervorgegangen sei und so etwas wie die geistig-spirituelle Wiedervereinigung der Schotten darstelle.
Nachdem diese Allgemeinplätze, die in Länge und Breite in allen prä- und postpubertären Musikzeitschriften diskutiert wurden, ausgetauscht wären, wenden wir uns der Musik zu.
Erinnerung 1 "Quicksand": Erinnert an "Driftwood" aus "The Man Who" - wahrscheinlich war das nicht das, woran erinnert werden sollte. "Driftwood" war deutlich besser, besserer Text, bessere Melodieläufe, bessere Gitarren. Ganz "nett" ist das Cello, absolut unerträglich aber sind die Backgroundvocals mit ihrem dreiklingenden Hey-hey-hey. Ein nettes Einstiegslied ist es, aber schließlich entlarvt sich der Text unfreiwillig selbst: "It's just the sound of one more rock star bleeding".
Erinnerung 2 "The Beautiful Occupation" beginnt mit einer choralhaften Strophe zu einer sehr gelassenen Gitarre. Der Text, zunächst staccatohaft vorgebracht, wirkt lakonisch, was auch ganz gut zum - Achtung! - politischen Hintergrund der Lyrics paßt. Leider wird das Lakonische durch einen allzu opulenten Refrain und eine sich anschließende kreischende Gitarre zunichte gemacht.
Erinnerung 3 "Re-Offender" handelt von den Verletzungen der Liebe. Inhalt und Stimme passen in ihrer Weinerlichkeit gut zusammen, übertreiben es aber beide. Der Text besteht überwiegend aus dem endlos wiederholten "You do it again". Die Stimme gerät zu larmoyant, unterstützt von einer schluchzenden Gitarre.
Erinnerung 4 "Peace the Fuck Out" spielt mit Echo-Gitarre. Der Song will hart daherkommen, ein straighter Rhythmus macht das von Anfang an klar. Die kompromißlose Message "Peace the Fuck Out" wird im Abspann mit der Unterstützung der Fans des Celtic Football Club und des Fulham F.C. vorgetragen. Das erinnert leider zu sehr an "Three Lions 98. Football's coming home" von den Lightning Seeds, die das origineller und dreckiger gemacht haben - und vor allem als erste.
Erinnerung 5 "How many hearts" ist sehr hübsch. Ein nettes kleines Liebeslied mit ansprechenden Lyrics. Wofür die Metapher "hoping to find the next golden egg" in der klassischen Liebeslyrik wohl stehen mag, bleibt allerdings offen.
Erinnerung 6 "Paperclips" ist ein wundervoll melancholischer Walzer. Schön sind die Variationen in Tempi und Modi, die dissonante Klarinette und eine Grundstimmung, die an niedergehende Zirkusromantik erinnert. Stimmungsvoll, nicht rund und glatt, aber ehrlich. Gut.
Erinnerung 7 "Somewhere Else" nimmt die Grundstimmung von "Paperclips" auf und führt sie weiter, ein wenig runder, nicht ganz so getragen, dafür ist die Gitarre etwas schwungvoller. Eine der Akkordfolgen kennt man aus "Let it be", aber im Ganzen ist das erfrischend gut.
Erinnerung 8 "Love will come through" überrascht durch ein durchgehend gutes Tempo, flott und schwungvoll. Den Tiefpunkt - noch dazu einen wirklich überflüssigen - findet man im Text: "Don't look da da da down the mountain". Also wirklich!
Bei Erinnerung 9 "Mid-Life Krysis" fragt man sich schon mal, was die Orthographie soll - oder ist es gar Symbolik?. Ansonsten: gleichförmige Leadstimme, getragen von Depression und "Bloß-Nicht-Ausgelassen-Sein" vor lustig und nett daherkommenden Streichern. Na ja, das selbstbewußt vorgetragene "Don't waste my time" im Refrain ist wohl der beste Kommentar zu dem Song.
Erinnerung 10 "Happy to Hang Around" ist eine gelungene Verbindung von Form und Inhalt. Die Melodie hängt irgendwie wirklich gut rum, sie beginnt sehr gelassen, mit zurückgenommenem Beat, synkopisch verzerrt, ein wenig Lounge, groovy, gute Gitarre im Hintergrund. Im Mittelteil wird es ein wenig härter, das überrascht und macht das Lied angenehm pubertär. Davon könnte man mehr haben.
Erinnerung 11 "Walking Down the Hill" fällt aufgrund des nicht gebundenen Textes aus dem Album heraus. Das ist gute Prosa, die in ihrer Introspektion zugleich poetisch ist. Dazu eine sehr zurückgenommene Melodiosität, ein zartes Klavier vor einem sehr dunklen Baß. Das beste Stück auf dem Album - definitiv.
Die Lyrics der versteckten, vergessenen oder auch unterdrückten Erinnerung 12 "Some Sad Song" sind in den Vinyl Liner Notes in schwarz auf schwarzem Grund gedruckt. Besonders viel Wohlwollen erwecken solche originellen Kunstgriffe nicht. Doch der Song ist ganz hübsch, wenn auch zu getragen, zu schwer und doch leider zu belanglos.
Alles in allem enttäuscht das Album - der Leser wird dies wohl schon bemerkt haben. Die meisten der Texte sind recht dürftig und eher banal, viele der Stücke sind partiell gut, aber eben nur partiell. Das meiste klingt zu sentimental und schwer. Das sollte offensichtlich ganz große Musik mit viel authentischem Gefühl werden. Aber genau dieses Bemühen um Wahrheit und Aufrichtigkeit mißriet zu einem larmoyanten Selbstbekenntnis von ein paar 30jährigen Jungs, die von ihrer Lebenserfahrung schwafeln. Zugegeben, das ist immer noch hübsch anzuhören. Ein bißchen mehr Leichtigkeit wäre jedoch schön gewesen. Leichtigkeit, durch die Songs wie "Side" oder "Flowers in the Window" auf dem Album "The Invisible Band" entstanden. Ein paar Erinnerungen weniger - an den einen oder anderen Song oder die und die Band - und stattdessen ein bißchen mehr Neues, ein bißchen mehr Wagnis zu Eigenem wären dem Potential der Band angemessen gewesen.
Die Frage wie es mit Travis weitergeht ist nach "12Memories" angebracht. Die Erwartungen werden hoch sein, gerade nach einem mittelmäßigen Album wie diesem, das sie selbst als ihr bestes oder doch zumindest als emotional sehr aufgeladen bezeichnen. Einige Zeilen aus dem besten Song des Albums, "Walking Down the Hill", mögen dem Wunsch nach dem entsprechenden Travis-Groove Ausdruck verleihen: "Walking down this hill tonight, I had a thought, it was my own and then the moon swept by the clouds and saved the starlight. Oh shall I be or shall I not be, I don't know, I just don't feel like it tonight." Hoffentlich gelingt ihnen das wieder.HMM
Das Album:
Travis 12Memories
Label: Independiente
http://www.independiente.co.uk
Vinyl 12'' (ISOM40LP) und CD (ISOM40CD)
Bezugsadresse: http://www.jpc.de