HÖRERLEBNIS 40


Musik: New Country, die Zweite

Von Stimmungen und Stimmen

von Wolfgang Vogel

Hatte ich Sie im ersten Teil meiner New-Country-Story zu einer virtuellen Reise mit dem Zug eingeladen, so möchte ich diesmal auf verschiedene Stimmungen eingehen. Stimmungen, ja Launen, sind wie Grenzwelten, wo Phantasie und Wirklichkeit miteinander verschwimmen. Und Phantasie können wir derzeit mehr denn je gebrauchen...
Dabei gebe ich zu, daß die Texte der im folgenden erwähnten Platten oft sehr simple Geschichten erzählen. Geschichten von Cowboys, Frauen, Liebe, Einsamkeit - alles, was das Klischee so erwarten läßt. Ich genieße es jedoch des Öfteren, bei einfach-eingängigen Melodien und Texten, die ich bereits nach dem dritten Hören (ansatzweise) mitsingen kann, einfach abzuschalten. Für Freunde des “anspruchsvollen” Free-Jazz z.B. dürfte diese Musik hingegen wenig Reiz ausüben, spricht sie doch nahezu ausschließlich Herz und Bauch an, weniger den Kopf. Für mein schlichtes Gemüt hingegen paßt es. Stimmungen und Stimmen pur - nicht mehr und nicht weniger. Sie sind also gewarnt...

Den Anfang macht diesmal eine Scheibe von Mark Knopfler. Mark Knopfler?!? DER Mark Knopfler??? Genau. Bereits 1990 spielte der Kopf der Dire Straits zusammen mit Country-Altstar Chet Atkins das Album “Neck and Neck” (CBS 467435 2) ein. Ein interessanter Stilmix aus Country-, Blues- und typischen Knopfler-Elementen, garniert mit zwei charakteristischen Stimmen. Vom “Poor Boy Blues” angefangen über die humorige Feststellung There’ll Be Some Changes Made” (...wo sich die beiden Gitarreros ungeniert und mit viel Spaß frotzeln...) und die swingende “Yakety Axe” bis zum sanften Abschluß “The Next Time I’m In Town” ein durchweg hörenswertes, weil auch vielfältiges Album - auch für nicht country-infizierte Musikhörer sicher interessant!

Einer der durchaus erfolgreichen Songwriter Nashvilles - er schrieb schon für viele Stars des New Country, u.a. JoDee Messina, Hits - veröffentlichte im Jahre 2000 sein erstes Soloalbum: Phil Vassar. Sein gleichnamiges Album (ARISTA Nashville 078221 8891-2) enthält vorwiegend fröhliche Gute-Laune-Songs (u.a. “Carlene” - ein Mann trifft nach Jahren eine High School-Klassenkameradin wieder; “Joe & Rosalita” - ein “unmögliches” Paar...; “Six-Pack Summer” - ein sorgloser Sommer; ...), aber auch ein paar nachdenkliche Töne (z.B. “Rose Bouquet” oder “Didn’t You Know She’s Gone”) - letztere jedoch stets mit ausreichend Schwung. Null Bock auf Null Bock, könnte man sagen. Jedenfalls nichts für die gepflegte Langeweile...

Ebenso beschwingt wie Vassar eröffnet auch Tracy Byrd sein Album “ten rounds” (2001 bei RCA/BMG erschienen, RCA07863-67009-2). In “Somebody’s Dream” bemängelt er die Gedankenlosigkeit, mit der die Träume anderer Leute mißachtet werden - aber er tut dies eben nicht larmoyant, sondern sachlich-schwungvoll. Das nicht untypische Verhalten eines Durchschnittsamerikaners am Ende der Woche beschreibt der Titel “Ten Rounds With Jose Cuervo”. Fröhlich, selbstironisch und augenzwinkernd beschreibt Tracy hier, wie er in eine Musikkneipe geht, die Musik mit jedem Song besser zu werden scheint - so gut, daß er als Nichttänzer (‚... two left feet ...’) irgendwann beginnt, neue Tanzschritte zu erfinden! - der Alkoholpegel steigt ... Wie man ihn ärgern kann, verrät er auch: Hören Sie sich mal “A Good Way To Get On My Bad Side” an, dann wissen Sie’s! Die klassischen Country-Balladen hat er natürlich auch im Repertoire: “Wildfire”, “Tryin’ Not To Love You” oder die Neuaufnahme seines Hits “Keeper Of The Stars” sprechen da eine deutliche Sprache.

Sie vermissen die Damen? Nun, da gibt es ebenfalls einige interessante Vertreterinnen des Genres, die ich Ihnen vorstellen möchte. Die erste, Lisa Haley, legte im Jahre 2000 mit “Louisiana” (CORAZONG 2000013) ein Cajun-Zydeco-Country-Album vor, das einfach viel Spaß macht. Mitreißend vom ersten Titel “Don’t You Tell Your Mother” an bis hin zum abschließenden “Until the Sun” - nie langweilig und mit charakteristischem Violin-Sound sorgt sie abseits des Mainstream für gute Laune. Wirklich eine gelungene Scheibe, über die ich nicht viel schreiben möchte - hören sie selbst!

Ebenso energiegeladen wie die Vorgenannte kommt Mary Chapin Carpenter daher. Auf “Shooting Straight In The Dark” (1990, Sony Music/Columbia 467 468-2) bewies sie bereits vor elf Jahren, daß Frauen in der Country Music mehr beizutragen haben als ausschließlich schmachtende Schnulzen. So ist etwa “Down at the Twist and Shout” ein veritabler Tanzflächen-Feger. Wer da ruhig bleibt, ist selbst schuld...! Aber auch Songs wie der Opener “Going Out Tonight” oder “Right Now” heben sich vom Mainstream durch die stimmliche Kraft der Sängerin wohltuend ab. Was für die genretypischen Balladen (“When She’s Gone”, “Can’t Take Love For Granted”, “What You Didn’t Say”) ebenso gilt. Auch ist hier jener Trend, der in den letzten Jahren den Erfolg etwa einer Shania Twain ermöglichte, bereits hörbar: ein countrytypischer Gesangsstil kombiniert mit Pop- und Rockelementen.

Ein exakt genau wie eben beschrieben orientiertes Stück (...und noch dazu kommerziell recht erfolgreich!) findet sich auf Juice Newton’s 1998 erschienenem Album “the trouble with angels” (1998, River North Records 51416 1361 2). Ihre Version des “Angel Of The Morning” klingt ebensowenig verstaubt wie mancher Rock-Klassiker. Und bei “Queen Of Hearts” oder “Love’s Been A Little Bit Hard On Me” hat schon so mancher mitgesummt, der nichts mit Country im Sinn hat. So habe ich es jedenfalls mehrmals erlebt. Bei vielen würden diese Songs doch genausogut als ‚normale’ Pop-/Rocksongs durchgehen. Die Grenzen sind eben fließend. “Nichts ist so beständig wie der Wandel”... Einfach ein angenehm zu hörendes Album.

Was ich vom nächsten Longplayer nicht gerade sagen kann, sofern Sie kein Hardcore-Fan des “Classic Country” sind. Dennoch möchte ich es Ihnen als typisches Beispiel der oftmals von Mini-Labels produzierten, gelegentlich auch an den “Garagensound” der Sechziger Jahre erinnernden Aufnahmen zumindest hierzulande weniger bekannter Künstler einmal vorstellen. James Hand fühlt sich ganz dem klassischen Country-Sound verpflichtet. Und so hat z.B. seine CD “Shadows Where The Magic Was” von 1997 eine etwas mangelhafte Klangqualität, aber viel Liebe zur ‚old fashioned’ Musik zu bieten. Eine völlig andere Art von Musikverständnis als in den moderneren Ausprägungen des Genres kommt hier zum Ausdruck: Traditionell und konservativ, aber stets unkommerziell und mit Herz. Wenn es den Texas-Sound je gab - hier ist er...

Eine wiederum gänzlich andere Facette stellt Eric Heatherly dar: Auf “swimming in champagne” (2000, Mercury 170 124 2) zelebriert er modernen Hillbilly-Sound reinsten Wassers. Stray Cats meet Garth Brooks - so in etwa klingt’s in den schwungvolleren Nummern (beispielsweise “Someone Else’s Cadillac”, “I Just Break ‘Em”, “Let Me”, “She’s So Hot”). Produziert wurde dieses Werk übrigens von Keith Stegall - der u.a. auch der “Hausproduzent” eines gewissen Alan Jackson ist - ein Profi, der auch den langsameren Nummern (“Didn’t Mean A Thing”, “One Night”) den entsprechenden Feinschliff verpaßt hat. Ein echter Tip ist diese CD besonders dann, wenn Sie mal einen Stimmungsaufheller brauchen.

Ganz anders dagegen Mandy Barnett. “I’ve got a right to cry” (1999, SIRE 31046-2) enthält genau den richtigen Mix aus Country und Blues, der zu einem entspannt-ruhigen Abend paßt. Unwillkürlich stellt sich beim einleitenden Titelsong eine Bar-Atmosphäre ein, die auch in der Folge erhalten bleibt. Stimmlich im klassischen Country-Stil gehalten, baut sich eine besinnliche, mal angenehme, mal traurige, immer aber fesselnde Stimmung auf. Zur Gestaltung eines jener Kerzenschein-Abende, die wir alle ab und zu brauchen, ist das Album sehr gut geeignet. Irgendwie selbst bei den etwas schnelleren Songs stets stilvoll - ganz ladylike, Miss Barnett. Weshalb ich an dieser Stelle eigentlich nur ein genaueres Hineinhören empfehlen möchte.

Etwas mehr noch an klassische Vertreterinnen der Country Music wie Dolly Parton oder Tammy Wynette und Patsy Cline erinnert die Stimme der in den letzten Jahren immer erfolgreicher werdenden LeeAnn Womack. Ihre Scheibe “LeeAnn Womack” von 1997 (MCA Records MCD 11585 bzw. 111 585 2) belegt das eindeutig. Höre ich etwa die traumhaft schöne Ballade “The Fool”, so finde ich die alte und doch immer wieder neue Geschichte einer Frau, die einen Mann liebt, der seinerseits noch immer an einer alten Liebe hängt, immer wieder anrührend. Schnief... Allein wegen dieses einen Liedes oder des ebenso gelungenen, wenn auch etwas zu sehr streicherüberzuckerten “Am I The Only Thing You’ve Done Wrong” (interessante Frage!) ist die CD bereits hörenswert. Wobei allerdings “Buckaroo” oder “Trouble’s Here” auch andere, weniger melancholische Aspekte LeeAnn’s offenbaren. Dennoch liegen ihre Stärken ganz offensichtlich bei den langsameren Stücken.

Weniger melancholisch - das ist ein gutes Stichwort, um Blake Shelton zu erwähnen. Sein gleichnamiges Album, erschienen Anno 2001 (Warner Bros. 74321 89165 2) hat reichlich Gute-Laune-Potential. Ob er meint “Everytime I Look At You”, feststellt “She Doesn’t Know She’s Got It” oder einen Gefängnisausbruch mit besonderen Mitteln beschreibt (“Ol’ Red”) - immer ist da ein treibender Rhythmus, der schnell ansteckt. Wie man eine Love-Story der modernen Art schreiben kann, zeigt er mit “Austin”. Wozu so ein Anrufbeantworter (by the way: sollten die Dinger nicht eigentlich besser “Anrufannehmer” oder “Anrufentgegennehmer” heißen? Antworten hab’ ich bislang noch von keinem dieser Dinger bekommen... Na, ist ja auch egal...) so alles gut ist... Tja, und musikalisch immer nur dasselbe ist auch nicht Mr. Sheltons Sache, was der Text des “Same Old Song” eindeutig belegt. Mal sehen, was das Nachfolgealbum des Künstlers so bieten wird...

Auf den Spuren von “Brooks & Dunn” wandeln hingegen “Montgomery Gentry”. Auf “Tattoos & Scars” (1999, Columbia CK 69156) beweisen die beiden Vokalisten, warum sie zu den erfolgreichsten Duos der New-Country-Szene gehören. Rockige Gitarren (etwa bei “Hillbilly Shoes” oder “All Night Long”) wechseln mit ruhig-melancholischen (Kuschel-)Songs (wie “Self Made Man” oder dem Titelsong “Tattoos & Scars”) ab. Dabei beweisen die zwei, daß sie sowohl den Harmoniegesang beherrschen als auch jeder für sich - teilweise innerhalb der Songs alternierend - bestehen können. Eine gute Scheibe für alle Fans des Genres - hier wird kein Extrem vorgeführt, sondern solides Handwerk praktiziert. Und das auf hohem Niveau.

Besinnlich möchte ich sie mit der letzten CD, die ich Ihnen vorstellen will, beenden, diese Irrfahrt durch Stimmungen und Stimmen. Dazu folgen Sie mir einfach in die musikalische Welt der Terry Radigan, die eine typisch-untypische Vertreterin der neuen Generation der Country-Sängerinnen ist. Das Album “Radigan” (2000, Vanguard VCD 79562-2) ist ein sehr ruhiges Werk mit einem Schuß Individualität, der ihm eine eigenständige Identität verschafft. Die Künstlerin erinnert mich mit (und trotz) ihrer weichen, enorm eingängigen Stimme unwillkürlich an die Fragilität einer Suzanne Vega. So ist (wie bei dieser auch) in dem einen oder anderen Stück schon mal ein musikalischer “Stolperstein” versteckt, der verhindert, daß das Album zu sehr ins trivial-austauschbare abgleitet. Tja, und dann sind da noch die Ausdrucksmöglichkeiten ihrer Stimme, die Nuancen an Intensität verschiedener Stimmungen äußerst subtil zu vermitteln vermag. So schmusig-sanft Miss Radigan etwa mit katzenhaft-samtigem Ausdruck in “The Things You’ll Do” daherkommt, so deutlich schwingt ein gänzlich anderer Unterton in “So What” mit... Rhythmisch-sperrig kommt dagegen das abschließende “50 Kisses” daher. Oder hören sie sich mal Terrys Version von Mark Knopflers “When It Comes To You” an - faszinierend! Eine eher nuanciert-subtile CD, die intensiv mit Zwischentönen spielt und sich dem Hörer nicht sofort in allen Facetten offenbart.

So. Das wär’s vorerst mal. Die wirkliche Vielfalt der New-Country-Szene konnte ich an dieser Stelle natürlich nur andeuten. Ich habe mich aber immerhin bemüht, Ihnen einige Aspekte der Faszination, die diese Musik auf mich ausübt, näherzubringen, indem ich Künstlerinnen und Künstler auswählte, die durch ihre recht verschiedenen Stile eine gewisse Spannbreite darstellen. Vielleicht ist ja die eine oder andere Anregung für Sie dabei - sollte mich freuen...

WV