HÖRERLEBNIS 37


Lautsprecher Castle Harlech S 2

"My Home is my Castle"

von Rolf Linden-Brüning

Englisches Hifi hat mir vom musikalischen Charakter her schon immer gut gefallen. Drei /u/ stehen dafür: Unauffällig, unaufdringlich, unspektakulär! Ausdruck meiner Symphatie gegenüber Produkten aus dem Königreich war u.a. der Besitz einer Spendor BC 1 69, die ich auch heute noch manchmal vermisse. Leider genügte sie nicht den Allroundansprüchen eines "Testers". Sie fiel bei 13 Khz langsam aber stetig ab und hatte auch sicher nicht das, was man nach heutigen Maßstäben einen straffen und konturierten Baß nennen könnte. Aber sie hatte wunderbare Mitten mit einer emotionalen Qualität wiedergeben, wie ich es nie wieder gehört habe. Da ich mir zwei Lautsprecherpaare nicht leisten konnte, mußte ich sie zur Freude ihres jetzigen Besitzers leider hergeben. Als Matthias Roth, den ich im Zusammenhang mit Electrocompanietgeräten kennenlernen durfte und den ich nicht nur aufgrund seiner kompetenten und unaufdringlichen Art sehr schätze, mir mitteilte, daß er die englischen Castle-Lautsprecher in sein Vertriebsprogramm aufgenommen hat, reifte in mir der Entschluß, mich mit einem Lautsprecher aus diesem Hause ausführlich zu beschäftigen. Gehört habe ich beim Kasseler Händler Speaker Selection vor einigen Jahren die große Schwester "Howard". Ich fand damals tatsächlich alle Tugenden vor, die ich englischen Lautsprechern zugeordnet habe. Allerdings war sie nicht gerade der dynamischste und agilste Schallwandler. Aber das war bei der Spendor auch nicht anders. Nun, inzwischen ist die gesamte Produktlinie komplett überarbeitet worden und ich konnte gespannt sein, ob die vorgenommenen Änderungen den Charakter der Lautsprecher erhalten haben und ergänzend die vorhandenen kleinen Schwächen beseitigt werden konnten.
Das Objekt meiner Wahl wurde schließlich die zweitgrößte Box aus der sogenannten "Classic Serie". Die "Harlech" ist ein wohnraumfreundlicher Standlautsprecher, 94 x 20 x 32 cm groß, wunderbar verarbeitet und in mehreren Hölzern erhältlich. Das Gehäusedesign der Harlech basiert auf einem sogenannten "Quarter Wave"-Prinzip.
Zwei getrennt geführte Kammern, quasi eine Mischung aus Transmissionsline und dem Orgelpfeifenprinzip leiten die rückwärtig abgestrahlte Schallenergie der beiden Baßtreiber mit höchstem Wirkungsgrad in Schalldruck um und erweitern hörbar den Tieftonbereich. Die Vorteile, so die Produktinformation, klassischer Hornkonstruktionen, nämlich der hohe Wirkungsgrad bei sehr tief herabreichendem Baß, das ganze bei sehr geringen Membranauslenkungen und damit auch geringen Verzerrungen, wird bei diesem Gehäusedesign genutzt, ohne deren Nachteile, wie extrem große Gehäuse oder kritisches Aufstellungsverhalten im Wohnraum in Kauf nehmen zu müssen. Eine Besonderheit ist, auch in diesem Zusammenhang, die über dem Gehäusefuß abstrahlende Schallführung, die in der Regel eine tolerantere Aufstellung zuläßt. Während das Vorgängermodell noch mit einer Metallkalotte und Polypropylenchassis bestückt war, gibt es hier jetzt die gravierendsten Veränderungen zu verzeichnen. In der neuen Harlech arbeitet eine 28 mm-Gewebekalotte, während die Membranen der Baßchassis aus Carbonfasern gefertigt sind. Das hat, wie im weiteren Verlauf beschrieben, klangliche Folgen. Vielleicht sei an dieser Stelle der Hinweis angebracht, daß die Frma Castle ihre Lautsprecher, also auch die Chassis, komplett in Eigenregie fertigt, was sicher auch einen nicht unwesentlichen Teil zum homogenen Klangbild dieser Lautsprecher beiträgt. Eine weitere Besonderheit dieses Lautsprechers ist, daß es einen rechten und einen linken zu geben scheint. Die Hochtöner sind nicht mittig angeordnet, was allerdings ausschließlich optische Gründe haben soll. Ob Sie die Hochtöner innen oder außen wollen, bleibt ihrem persönlichen Empfinden überlassen. Klanglich und in der Rauminformation sind keine großen Unterschiede auszumachen. Der Hersteller empfiehlt, wenn überhaupt, die Hochtonchassis außen anzuordnen. So ergibt sich eine etwas breitere Basis, ohne daß Sie die Lautsprecher nach außen schieben müssen. Wenn es einmal eine verhaltenere Gangart gab (auch elektronikabhängig), dann ist sie jetzt mit Sicherheit kein Thema mehr. Dieser Lautsprecher groovt und hat Drive. Der Mitwippeffekt tritt ganz automatisch ein. Ich habe mich mit großem Vergnügen durch meine Plattensammlung gehört und eben nicht nur durch die kleinen Besetzungen, Jazztrios und Kammermusik, sondern ganz bewußt auch durch dynamisch forderndes Musikmaterial, wie Rockmusik, Rockjazz und große Orchester. Mit dem Ergebnis, daß, wenn Sie nicht brachiale Lautstärken spielen, diese Musik hervorragend reproduziert wird. Selbstverständlich nicht mit der Urgewalt der Großen, aber durchaus glaubhaft und vor allem in Sachen Dynamik und Schnelligkeit makellos umgesetzt. Die Harlech wächst mit der Qualität des Verstärkers. Mit einem dymamikgebremsten Kleinverstärker wird sie ihre Fähigkeiten nicht ausspielen können. Aber Achtung: die Betonung liegt auf dynamikbegrenzt. Ein gut konzipierter 50 Watt-Transistor oder eine schnelle Röhre sind durchaus brauchbare Partner für die Harlech. Wie ich es nicht anders erwartet habe, sind die Mitten das eigentliche Sahnestückchen. Rachel Ferrell mit ihrem enormen Stimmumfang auf "Individuality" wird sehr natürlich und in allen Schattierungen offensichtlich richtig wiedergegeben. Die tiefsten Tiefen (stimmenbezogen) ebenso, wie die geradezu ekstatischen Ausflüge in höchste Dauertonregionen, ohne daß etwas zu komprimieren schien. Bill Evans CD "Soul Insider" ging ab wie die Feuerwehr. Nur bei Boomfishs Teccnorockexzess ist sie vom Volumen her überfordert. Hier fehlt es in den unteren Lagen einfach an Substanz, was auch nicht anders zu erwarten war. Auf Susan Mc Keowens wunderbarer CD "Mighty Rain" mit Lindsey Horner am Baß und diversen anderen Instrumenten gibt es ein wunderschönes Sologesangsstück, ausdrucksstark über die Harlech wiedergegeben. Wenn schon Kari Bremnes, dann versuchen Sie es doch einmal mit der weithin unbekannten Scheibe "Erfindring". Ein gefundenes Fressen für diesen Lautsprecher, der diese Art von Musik besonders zu lieben scheint und von dieser sehr ausgewogen aufgenommen CD im besonderen Maße profitiert. Außerdem habe ich mich durch Jascha Heifetz "Grand Violin Concertos"-RCA-LP gehört. Ein Geigenvirtuose, den ich sehr gut kenne und dessen Art zu musizieren, mich seit Jahren begeistert. Mit jedem Ton habe ich ihn wiedererkannt und das Orchester spielt, solange nicht lautstärkemäßig überzogen, harmonisch mit, ohne zu komprimieren. Bitte nicht falsch verstehen. Man kann mit diesem Lautsprecher musikabhängig richtig laut hören, aber irgendwann kommen aus rein physikalischen Gründen kleine Chassis an ihre Grenzen. Umso erstaunlicher, wie weit das Quarter Wave System den Tieftonbereich nach unten öffnet.
Fazit: Was soll ich sagen, ein ausgezeichnet verarbeiteter, schlanker Standlautsprecher, der seine Qualitäten aus den Mitten heraus entwickelt und durch Homogenität und authentische Wiedergabe besticht. Für kleinere bis mittelgroße Räume ein aufstellungsunkritischer Schallwandler mit ausgesprochen ausgewogenem Charakter: und wenn gefordert und vom Frontend entsprechend bereitgestellt, lebendig und dynamisch. Ein Vergleich mit der ebenfalls überarbeiteten und größeren Castle "Howard S 3" offenbart den gleichen Charakter bei etwas mehr Offenheit und Tiefgang zugunsten des großen Bruders. Familienbande im Castle-Programm sind also hörbar und erkennbar, was ich sehr schätze, weil die Handschrift des Entwicklers durch die gesamte Produktlinie klar erkennbar ist. Den Lautsprecher Castle "Harlech" empfehle ich jedem, der Musik genießen möchte, wie sie ist, in allen Schattierungen, so wie einen guten Wein, der ab und zu auch mal einem kräftigen Whisky weichen muß, um das innere Feuer spüren zu können.

RLB

Das Produkt: Lautsprecher Harlech S 2
Preis: 3900.- DM Standardversion
Vertrieb: MRV Vertriebsgesellschaft Matthias Roth, 91054 Erlangen, Rühlstraße 21
Tel. 09131/52996
Fax: 09131/52997
Email: mrvaudio@aol.com
Internet: www.mrvaudio.de

gehört mit:
Scheu Plattenspieler (Acrylversion)
Tonarme:SME 3012, Tonarm Rega/Scheu Eclectic Audio modifiziert
Tonabnehmer: Denon DL-103, Ortofon SPU N, Kiseki Blue Goldspot.
Phonovorverstärker: Omtec Antares, Trigon Vanguard mit Akku Volcano
Vorverstärker: Acon Professional 12 R, Omtec Anturion CP 2
CD - Player: Electrocompaniet EMC 1, Gruensch/Sony XA 50
Endstufe: Gruensch CSE
Lautsprecher: Acon A 1134, Confluence Cantilene
NF-Kabel: Acon, Electrocompaniet,Coral, Omtec,van den Hul
LS-Kabel: Gruensch/Kimber
diverses Zubehör: von der Plattenwaschmaschine von Nitty Gritti bis zur Tonarmwaage von Shure.
Keine Wässerchen und sonstige Tinkturen!