HÖRERLEBNIS 34
Marianne Faithfull,
die “Grande Dame der 60er” auf den “vagabond ways” ins Millennium
“Sehnsucht sollte man sich bewahren”
Text, Interview & Fotos: Christof Graf
Sie war berühmt für ihr gutes Aussehen, für ihre Liebhaber wie z.B. Mick Jagger und Paul McCartney und sie war berühmt für ihren exklusiven wie exzessiven Lebensstil, für Sex, Drogen und Rock`n`Roll. Jetzt ist sie berühmt für ihre eigene Geschichte. Auf ihrem letzten Album ,,Vagabond Ways" erzählt sie einige weitere Kapitel daraus.
Von ,,Grande Dame der 60er" bis hin zu ,,Engel mit Titten" oder ,,Marlene Dietrich des Rock" wurden ihr schon viele Namen gegeben. Es gab dennoch kaum eine Bezeichnung, die ihr nicht schmeichelte oder nicht immer etwas Wahrheit in sich barg. Doch die Faithfull wurde mit solchen Titulierungen letztlich immer nur eindimensional erfaßt. Erst jetzt, fast 30 Jahre nach ihrer Zeit, weiß sie sich zu geben, wie sie wirklich ist. Ganz Frau, mit allem, was dazu gehört. Mal Vamp, mal Romantikerin, etwas Hausfrau und doch Künstlerin. Doch was ist heute, über 30 Jahre nach den Drogeneskapaden und Affairen mit Mick Jagger, Keith Richards und Brian Jones aus der ,,femme fatale" geworden? Die Antwort ist ebenso erfreulich wie erfrischend: Sie hat es zu dem gebracht, was man bei Ikonen wie Bob Dylan, Lou Reed oder Neil Young meint, wenn man ihnen den Status der ,,elder statesmen of pop" zugesteht. Schließlich können nur wenige eine Laufbahn vorweisen, die ähnliche Extreme aufweist. Die aufsehenerregende Schönheit wurde 1964 von Stones-Manager Andrew Loog Oldham überredet, sich als Sängerin zu versuchen. Der Rest ist Geschichte: Mit ,,As tears go by", ihrem ersten Stück aus der Feder von Mick Jagger und Keith Richards, landete sie prompt einen Top-10-Hit. Es folgten weitere Chartstürmer, die vielbeachtete Beziehung mit Jagger, dann Trennung und Drogen, die sie bis Ende der 70er Jahre in Bann hielten. 1979 gelang ihr mit ,,Broken English" ein grandioses Comeback. Es folgte ,,The Ballad Of Lucy Jordan" aus dem 1987er Album ,,Strange Weather". Mit whiskeydurchtränkter und von einer Menge Schachteln Marlboros geprägter Stimme, gut eine Oktave tiefer als früher, etablierte sich die Chanteuse im Charakterfach. 1995 veröffentlichte Marianne Faithfull ,,A Secret Life", ihr letztes zeitgenössisches Album, um sich danach mit ,,20th Century Blues" und ,,The Seven Deadly Sins" intensiv mit den 30er Jahren, besonders mit Brecht und Weill zu beschäftigen. Auf ihren ,,Vagabond Ways" singt sich die Faithfull mit mehr vom Blues bestimmten Songs in die Gegenwart zurück.
Lasziv und geläutert, ,,Grande Dame der 60er", ,,Engel mit Titten" und Ex-Geliebte von Mick Jagger und Paul McCartney, Marianne Faithfull stellte 1999 ihr neues Album ,,Vagabond Ways" live vor.
Die Frau, die fast 15 Jahre ihres Lebens sämtlichen harten Drogen verschworen war, findet mehr und mehr zu sich zurück, was sie mit ,,ich bin lediglich etwas ruhiger geworden" bescheiden zu umschreiben versucht. Sitzt man ihr gegenüber, fühlt man jedoch nicht nur die Ruhe einer faszinierenden Frau, sondern auch deren pulsierendes Inneres. Dazu umgibt ihre pure Anwesenheit eine Atmosphäre, die kaum wiederzugeben ist. Es ist das Edle einer Dame, der Hochmut einer Lady, die Romantik einer Hure, das Lachen eines "älter gewordenen" Mädchens, das Verruchte einer Diva, kurzum es ist all das, was Frau sein kann. Mal Domina, mal Sklavin des Lebens. Sie spricht leise und wohl überlegt, sucht nicht nach Worten, sondern läßt sich Zeit, die richtigen zu finden. Es ist all das, was sie auch durch Performance und Songauswahl während ihrer derzeitigen Konzerte ausstrahlt. Etwas Rock`n`Roll, viel Blues, ein Hauch von Weill und ein Schuß von Piaf. In ihrem schwarzen Satin-Damenhosenanzug, Schuhen mit hohen Absätzen, blonden zurückgekämmten Haaren und stets eine ihrer geliebten Zigaretten in Händen scheint sie über all dem zu stehen, was sie einst zum Umfallen brachte, wirkt sie wie ein gefallener Engel, der, elegant wie eh und je, wie ein Phönix aus der Asche in die Lüfte steigt. Kurzum, es ist ein Erlebnis ihre Präsenz spüren zu dürfen. Egal, ob im Gespräch oder im Konzert. Diese Frau scheint zu wissen, wie edel und wertvoll diese Momente einzuschätzen sind. Vielleicht ein Grund, warum sie sich so rar macht. ,,Ich nehme mir immer mehr Zeit, für das was ich noch machen möchte", erklärt sie. Und man scheint es nachvollziehen zu können. Es ist das Adlige in Ihrem Blut, das sich für das, was zu erledigen ist, Zeit und Ruhe läßt, um es dann mit Eleganz und Bravour zu erledigen.
Die Tochter eines Literaturprofessors und einer österreichischen Baronesse aus der Familie Leopold von Sacher-Masochs füllt sämtliche Klischeevorbilder mit Inhalten und weiß dennoch sie selber zu sein und bleiben.
Aber nein, Marianne Faithfulls Leiden, hat nichts mit dem Leiden zu tun, für das einer ihrer Vorfahren mit seinem Namen hinhalten mußte. ,,Nein, ich denke nicht, daß ich ein masochistisches Leben geführt habe", erklärt sie. ,,Es war mehr das Leiden des Lebens, das Resultat von Exzessen, das nichts mit dem zu tun hat, was Masochismus wirklich ausmacht." Die Faithfull, am 29. Dezember 1947 im englischen Reading geboren, scheut sich nicht vor unbequemen Fragen. ,,Warum auch?", fragt sie zurück. ,,Mein Leben und all das, was dazu gehört, habe ich ausführlich in meinem Buch wiedergegeben. Ich hätte es nicht veröffentlicht, wenn ich darüber auch nicht in der Öffentlichkeit sprechen könnte. Es kommt auf das Gespräch an, auf die Art, wie man, wann und wo man es führt. Man spricht nicht über alles in allen Situationen." Fast scheint es, dieser Frau könne und dürfe man gar nicht widersprechen, wenn man einmal in den Genuß gekommen ist, ihr zuhören zu dürfen. Fast scheint es, sie habe mit allem Recht.
Trotz aller Erklärungen und Beschwichtigen, daß Ihre Kunst nicht immer das wiedergibt, was Sie selbst sind, sondern oft nur Reflexionen, wirkt fast jedes Ihrer Alben, ja gar jeder Song autobiographisch. Betrachten Sie Ihr künstlerisches Werk als eine Art Tagebuch oder ist es gar wie ein Spiegel Ihrer selbst?
M. Faithfull: Warum glauben alle immer nur, ich würde nur über mich singen? Nein, nicht jeder Song handelt von mir. Vielleicht liegt es an meiner Stimme, mit der jeder Song, jedes gesungene Wort an Authentizität gewinnt. Natürlich bringe ich mich auch selbst ein, natürlich sind einige Songs Spiegel meiner Gedanken, aber wenn ich z.B. im Titelsong ,,Vagabond Ways" über eine Frau in einer skandinavischen Anstalt singe, die Anfang der 70er Jahre sterilisiert wurde, hat das nicht mehr viel mit mir zu tun. Man darf nicht immer alles 1:1 assoziieren. Mich interessieren eben nunmal komplexe Personen und deren Geschichten. Vielleicht liegt es daran, daß man mir noch immer das Image des ,,fallen angel" anhaftet und derartige Geschichten gut zu diesem Image passen.
Oder das der ,,Marlene Dietrich der Popmusik", oder die ,,Edith Piaf des Rock`n`Roll"? Stören Sie solche Etiketten?
M. Faithfull: Ich werde mich wohl nicht dagegen wehren können. Aber die Leute sollten einkalkulieren, daß es wirklich nur ein Image ist, das man mir einmal verpaßte und das sich besser verkauft, als jenes einer ,,geläuterten" Frau.
Die Sie mittlerweile sind?
M. Faithfull: Sagen wir es einmal so, daß ich mich weiterentwickelt habe. Stillstand ist Sterben. Und ich fühle mich noch verdammt lebendig. Aber um auf das Image, das mehr als ein Klischee ist, zurückzukommen, muß ich sagen, daß es wohl auch daran liegt, dass ich eine Frau bin und irgendwann einmal unbändige Lebenslust verkörperte. Solchen Personen drückt man gerne solche Klischees auf. Dann reicht ein Leben nicht aus, um dieses Klischee, gerade in den Zeitungen, wieder zu revidieren.
Was viele nicht einkalkulieren, daß diese Frau Faithfull auch in der glücklichen Lage war, um diesen berühmten Traum zu träumen. Ich sah gut aus und lebte im Rock`n`Roll auf, von Anfang seiner Geschichte an. Wenn man also ein Symbol für die 60er benötigt, gebe ich ein gutes Beispiel ab. Doch eine Ikone wollte ich nie sein. Ich sehe mich als arbeitende Künstlerin. Andererseits ist es für eine arbeitende Künstlerin nicht schlecht, mit einem ganzen Jahrzehnt identifiziert zu werden.
Wie sehen Sie heute Ihre Affaire mit Mick Jagger & Co.?
1995 schrieb sie sich in ihrer Biographie namens ,,Faithfull" ihr Leben von der Seele.
M. Faithfull: Alles, was wir damals taten, war ein einziger One-night-stand. Ich weiß, daß ein One-night-stand keine Mühe bereitet, keine Anstrengung verursacht und immer in Erinnerung bleibt. Viel schwieriger aber ist es, eine Beziehung aufzubauen. Eine solche Beziehung hatten Mick und ich entwickelt. Und das war oft schmerzhafter aber auch interessanter. Doch damit konnte ich nicht so gut umgehen, weil ich zu viele Drogen nahm. Man kann sich nicht auf eine Beziehung einlassen, wenn man die ganze Zeit Heroin und Kokain nimmt. Das Verhältnis zu den Drogen ist immer stärker, als das zu einem Menschen, wenn man danach süchtig ist. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
Die Drogenerfahrungen im Rockbusiness schlachten viele, sofern sie nicht daran zerbrechen oder zugrunde gehen, auch künstlerisch aus. Wie sehen Sie heute ihre Zeit, in der Sie nach Drogen süchtig waren?
M. Faithfull: Richtig tragisch wäre es gewesen, wenn ich an den Drogen gestorben wäre. Aber so waren es Erfahrungen, die man sonst nicht bekommt. Ich möchte nichts heroisieren oder gar verallgemeinern. Man kann es sowieso nicht beschreiben. Jeder zieht daraus sein eigenes Ding. Und jeder Außenstehende interpretiert den Menschen, der Drogen nimmt, anders. Alles wird anders wahrgenommen. Nimm einen Betrunkenen, er ist und bleibt der gleiche, vor und nach dem Exzeß, nur die Leute sehen im Betrunkenen jemanden anderen als in dem Nüchternen, obwohl es derselbe Mensch ist. Meist sind es nur die Sichtweisen der anderen, die die Veränderungen sichtbar machen. Man selbst verändert sich mit der Zeit gar nicht mal so sehr. Zumindest wird es einem nicht immer bewußt. Doch in meinem Falle ist die Sucht noch einmal glimpflich verlaufen. Außer einigen Jahren habe ich nichts verloren. Mein Leben und mein Ich habe ich behalten dürfen. Das ist nicht immer so. Aber jeder empfindet das wohl anders.
Sie waren damals noch recht jung, sie kamen aus dem sogenannten guten Hause und die 60er Jahre waren noch recht intolerant. Wie reagierte ihre Familie auf ihr exzeßhaftes Leben?
M. Faithfull: Ich denke, ich hatte die richtigen Eltern für die damalige Zeit. Intelligent, liberal und gebildet, europäische Sozialisten sozusagen, die gerade mit ihren Erfahrungen aus dem zweiten Weltkrieg kamen. Ich habe gelernt, daß es nichts gibt, wofür man sich zu schämen hatte oder wofür man schuld ist.
Wie gehen Sie mit Kritik um?
M. Faithfull: Egal, ob es persönliche oder allgemeine Kritik ist: Kritik sollte, auch wenn sie wirklich negativ ausfällt, so formuliert sein, daß derjenige, der sie erhält, daraus etwas Positives herausziehen kann. Kritik sollte meiner Meinung nach immer helfen. Ansonsten kümmere ich mich nicht darum.
Musikalisch begannen Sie mit Folk-Pop (,,As Tears Go By"), wechselten zu New Wave (,,Broken English") und finden sich momentan irgendwo in der Nähe des songwriterähnlichen Chansons wieder. War diese musikalische Reise so etwas wie eine Selbstsuche?
Marianne Faithfull: Schwarzes Satin um ihre Haut und Sandpapier auf ihrer Stimme. M. Faithfull: Ich muß gestehen, daß ich mir über derartiges gar nicht mal so viele Gedanken mache, da für mich die Grenzen zwischen den Stilen nur sehr dünn markiert sind und ich Gratwanderungen schon immer schätzte. Mein Musikverständnis läßt sich nicht in Schubladen stecken.
Wie sich auch die gesamte Person der Marianne Faithfull nicht in eine Schublade stecken läßt?
M. Faithfull: Und auch darüber denke ich nicht viel nach. Ja, warum auch? Angepaßtsein gibt es genug. Und im Rampenlicht stehe ich auch nicht gerne. Ich liebe meine Arbeit, das, was ich tue, und bin froh, daß es Beachtung findet. Aber ich denke nicht viel darüber nach.
Trifft dann vielleicht doch das Piaf-Zitat ,,Je ne regrette rien" zu?
M. Faithfull: Sowieso. Aber was soll man bereuen? Man kann die Zeit nicht zurückdrehen. Und trotz einiger Tiefen waren wunderschöne Zeiten dabei. Aber ,,mein Rock`n`Roll" ist viel ruhiger als sein Ruf. Was nutzt es, den verlorenen Jahren nachzutrauern? Irgendwann sollte man erkennen, daß man seine Zeit nutzen soll und nicht vergeuden. Und das habe ich beides.
Sie leben relativ zurückgezogen in Irland?
M. Faithfull: Ja, im County Kildare, in einem kleinen Landhaus mit viel Garten darum. Ich lebe bei Dublin, recht zurückgezogen, treffe mich gelegentlich mit Freunden, sammle Bilder und liebe Bücher. Irland hat für mich etwas wie Acid. Etwas betörend Ruhiges. Außerdem mag ich es auf Distanz zu gehen. Ich brauche diese Art von Schutz. Die Leute müssen sich eben etwas anstrengen, um mich zu erreichen.
Und die ,,Wilder Shores Of Love" gehören endgültig der Vergangenheit an?
M. Faithfull: Die Sehnsucht danach sollte man sich immer erhalten. Aber derart stark ausgeprägte Gefühlsleben sind nicht immer die gesündesten. Manchmal ist es besser, sich nur danach zu sehnen anstatt sie zu leben.
Sie haben meist Coverversionen interpretiert. Oft sogar solche, die klangen, als würden sie Ihre Geschichte erzählen...
M. Faithfull: Ja, woraus auch viele Mißverständnisse entstanden. Ich bin eben nicht immer der ,,fallen angel". Ulkigerweise entstammen viele Songs von Männern, die diese Songs autobiographisch meinten und manche Leute meinen eben, hier erzählt die Faithfull, wenn sie deren Songs singt. Das einzige was stimmt ist, daß meine Songs vielleicht besser zu diesen Songs paßt, als die Stimme der Urheber. Egal, ob Lennon, Waits, Cohen oder Dylan, meine Stimme paßt zu ihren Songs. Sie haben eine Tragik, die ich gut auszudrücken vermag. Naja, ich sollte vielleicht etwas weniger in der Ich-Erzählweise singen - aber wer ahnt schon, daß nicht alle dieses stilistische Mittel zur dramaturgischen Steigerung verstehen?
Auf Ihrem ,,Vagabond Ways"-Album interpretieren sie mit ,,Tower Of Song" auch einen Song von Leonard Cohen...
M. Faithfull: Ja, weil er es versteht, Musik und Poesie zu einer Einheit werden zu lassen. Er ist ein Dichter der Post-Moderne und ,,Tower Of Song" ist die Geschichte aller Singer/Songwriter. Man muß sich mit diesem Song einfach identifizieren, wenn man aus diesem Genre kommt.
Ein ganz anderes Kaliber ist Metallica, wie kam es zu dieser Kooperation?
M. Faithfull: Keine Ahnung, ganz ehrlich. Irgendwie wollten sie mit mir zusammenarbeiten, kamen zu mir nach Dublin geflogen, sagten, was sie vorhatten, mir gefiel es, sie bezahlten mich fürstlich, das ist die ganze Geschichte. Ohne deren Honorar hätte ich mir die Studiozeiten für ,,Vagabond Ways" wohl kaum finanzieren können.
Welches sind Ihre Pläne für die Zukunft?
M. Faithfull: Ich habe Pläne, aber keine speziellen. Es gibt noch viele Musiker, mit denen ich zusammenarbeite möchte. Wenn man keine Pläne oder Ziele mehr hat, ist man tot. But I´m still alive...CG