DAS OHR 34: Interviewportrait
Axel Jost interviewt und portraitiert Suzanne Vega
(Erstveröffentlichung in DAS OHR 34, April 1991)Die Kluge
Suzanne Vega im Interviewportrait
von Axel Jost
Die Tatsache, daß manche prominente Leute, die man nur aus dem Fernsehen kennt, in Wirklichkeit viel kleiner sind, als man sie sich vorstellt, nimmt ein medienkritischer Mensch mittlerweile als gegeben und nicht weiter berichtenswert hin. An SUZANNE VEGA fällt mir denn auch gar nicht mal so sehr ihre kleine Gestalt auf, als ich ihr in ihrer Düsseldorfer Hotelsuite gegenübersitze - was mich aber wirklich verblüfft, ist ihre erstaunliche Magerkeit, die sie durch asymmetrisch streng gescheitelte Spaghetti-Haare und ein nahezu porzellanweiß geschminktes Gesicht noch betont. Der berühmte Strich in der Landschaft. Zum Ausgleich muß das zierliche Persönchen allerdings mehrfach angestanden haben, als die Geistesgaben verteilt worden sind: Das Gespräch mit ihr unterscheidet sich von der zeitlichen Länge her zwar in nichts von anderen unserer Interviews, wohl aber in bezug auf sprachliche Komplexität und Dichte. Sie spricht enorm viel und schnell und druckreif und wunderschön. Ihr fallen pausenlos Metaphern und Vergleiche ein, über die unsereins stundenlang brüten müßte, und die wegen vielerlei subtiler Anspielungen und Konnotationen für den weniger Geübten verdammt schwer zu übersetzen sind. Reife, exakte Sätze. Gesprochene Prosa, von JOACHIM NOSKE und mir auf Band festgehalten. Ihre Ausstrahlung ist freilich keineswegs asketisch. Ungefragt kommt sie auch mal auf das Thema Sex. Mit klarem, ja fast bohrendem Blick beobachtet sie beim Sprechen, ob man ihren Ausführungen auch mit der gebotenen Aufmerksamkeit folgt. Erst das Abhören bringt es an den Tag: Suzanne redet schneller, als wir gedanklich nachkommen können. Manchmal stellen wir bereits die nächste Frage, obwohl sie ihre Antwort noch nicht beendet hat. Sie läßt sich dadurch gar nicht weiter stören und baut den Rest der alten Antwort kurzerhand in die neue mit ein. Einfach so, an Ort und Stelle merkt man's gar nicht, erst beim Übertragen des Interviews, für dessen Niederschrift ich geschlagene acht Stunden brauchte.
SUZANNE VEGA ist die mutmaßlich "klassischste", d.h. konsensfähigste Musikantin für jene Gattung der OHR-Leser, die an populärer Musik Gefallen finden. Die Gründe für ihre (von mir jedenfalls unterstellte) Beliebtheit in unseren Kreisen liegen auf der Hand: Mit dem Besitz ihrer Platten attestiert sich der erwachsene Rockfreund verfeinerten Musik-Geschmack. Manchen kommt es vielleicht sogar auf Inhalte und die Qualität der Vermittlungsformen an - gelangen sie doch in den Besitz eines ästhetischen Inselchens inmitten eines Meeres von Trivialkultur. Denn auch hier hat unsere Sängerin etwas zu bieten: Ms. Vega macht was Eigenes, was Originelles, das darüber hinaus auch noch gut klingt. Sie kommt aus der jedweder Plastik-Musik abholden, an der Tradition orientierten amerikanischen Folk-Szene, schöpft aus konventionellen Quellen, tut sich aber gleichwohl durch ungewöhnliche Interpretations-Ideen hervor. Man denke nur an das a capella gesungene "Tom's Diner", das auf der 88er High-End zu jeder besseren Geräte-Demonstration gehörte und das mit seinen einfachen, aber zu Poesie verdichteten Worten ein flippiger Nachkömmling von ERNEST HEMINGWAYs Kurzgeschichte "A Clean, Well-lighted Place" ist.
Drei LPs hat Ms. Vega bislang eingespielt, das selbst-benannte Debüt im Jahre 1985, gefolgt von "Solitude Standing" zwei Jahre später und ihrer jüngsten Produktion "Days Of Open Hand" aus dem letzten Jahr. Alle drei fanden, beginnend mit einer Leserkritik in Heft 14, in DAS OHR wohlwollende Erwähnung. Ihre Platten zählen zu den überdurchschnittlich gut gemachten; sie sind der high-fidelen Abbildung ihrer sanft timbrierten, mit einem Hauch von Rauch hinterlegten Stimme und einem transparenten, natürlichen Gesamtklang verpflichtet. Rock-Feinschmecker loben mit Recht den Klangfarbenreichtum und die tonale Vielschichtigkeit ihrer Produktionen. Gleichwohl kümmert sich die New Yorkerin nicht sonderlich um die von ihr als "langweilig" und "ermüdend" betrachtete Arbeit im Studio: "Oh, da muß ich nachdenken", vertröstet sie uns auf die Frage nach der bei "Tom's Diner" eingesetzten Aufnahmetechnik, "also, wenn ich mich recht erinnere, dann haben wir es in einem Take live im Studio eingespielt. Das hat ungefähr eine Stunde gedauert. Wir haben ein paar Versionen davon aufgenommen, langsame und schnelle. Ich wollte aber nicht allzuviel Zeit damit zubringen. Mir gefiel die Idee, 'Solitude Standing' mit etwas Beiläufigem zu eröffnen. Wenn Du es aber ganz genau wissen willst, dann mußt Du LENNY KAYE fragen, der hat nämlich im Kontrollraum gesessen, nicht ich." Egal, ihre Platten tönen jedenfalls respektabel (auch GW setzt sie ab und an mal bei seinen Hörsitzungen ein), genau wie auch ihre Konzerte sauber abgemischt sind. Wer z.B. meint, die Düsseldorfer PHILIPSHALLE habe eine unverbesserlich schlechte Akustik, der hat dort garantiert noch nie ein Konzert von Suzanne Vega erlebt. Kurz: Um die Technik kümmern sich ihre Leute; sie kann ihre Gedanken auf Wichtigeres konzentrieren.
Zu einer Zeit, wo junge Frauen in der Pop-Musik vorrangig einem lärmenden Gören-Image hinterherlaufen mußten (CYNDY LAUPER und MADONNA hießen die Umsatz-Gigantinnen 1984, als die damals 23jährige wider jedes bessere Wissen der Konzerngewaltigen ihren Plattenvertrag erhielt), brachte sie die gute alte Dichtkunst in die Pop-Musik zurück und bereicherte sie obendrein noch mit kluger Weiblichkeit und cooler Selbstbesinnung. Sie berichtete in ihren Liedern vom Leben in der Großstadt, vor allem von dessen Schattenseiten, und machte vielen jungen Frauen in der Liedermacher-Szene Mut, sich gleichfalls an die Öffentlichkeit zu wagen. Und nicht nur denen. Das eben zitierte "Tom's Diner" rief Jahre nach seiner Veröffentlichung einige Mix-"Künstler" auf den Plan, die dem filigranen Wortgespinst einen fett pumpenden, freilich tanzbaren Beat unterlegten und es europaweit zur Nr.1 in den Verkaufscharts machten. Die sich DNA nennenden Herrschaften genierten sich dabei nicht, dem Song die letzte Strophe abzuschneiden und ihn damit nicht nur seiner Zartheit, sondern auch seines Sinnes zu berauben. Heute amüsiert sich Suzanne Vega darüber: "Das mit dem letzten Vers ist mir sehr wohl aufgefallen. Und ich habe ihnen auf die Finger gehauen, als ich sie traf, und zwar aus verschiedenen Gründen. Die hätten mich nämlich zuerst mal fragen sollen. Naja. Dennoch finde ich ihre Version interessant. Bereits als ich den Remix das erste Mal hörte, da kam es mir so vor, als ob sie Fans seien, die sich keinen Scherz erlauben wollten, sondern die den Titel auf ihre eigene Art interpretierten. Ähnliches hat etwa die Trash-Metal-Band THE LEMONHEADS mit 'Luka' gemacht, das sich sehr von meiner Version unterscheidet, aber in meinen Augen genauso authentisch ist. Es ist eine aktuelle Fassung, die für mich Sinn machte. Und 'Tom's Diner' von DNA wirkt auf mich wie eine Übersetzung in eine andere Sprache. Es ist jetzt zwar nicht mehr dasselbe, aber immerhin einem breiteren Publikum zugänglich gemacht worden. Das Original ist dadurch ja nicht zerstört worden, es gibt es ja immer noch, und jeder, der sich dafür interessiert, kann darauf zurückgreifen und es sich auf 'Solitude Standing' anhören." Sie hat also nicht das Gefühl, daß ihr Song kaputtgemacht wurde? "Nein. Oh, Mann, ich habe kaputte Versionen von meinen Songs gehört! Leute haben zu 'Luka' Jux-Texte verfaßt und mir geschickt, damit ich mein Einverständnis dazu gebe. Ich habe denen geantwortet, daß ich ja wohl verrückt wäre, wenn ich so etwas genehmigen würde. Oder die Firma 'Muzak' [die in Warenhäusern, Fahrstühlen etc. für stimmungsfördernde "Musik"untermalung sorgt - AJ] ruft mich jedes Jahr an und fragt, ob sie 'Luka' haben könnten. Sowas sehe ich als Beleidigung an. Aber die DNA-Fassung war einfallsreich und interessant. Was mich daran allenfalls etwas ärgert, ist die Tatsache, daß sie viel mehr Erfolg hatten als ich mit meiner letzten Platte." Dann bricht sie in ein freundlich-mädchenhaftes Kichern aus.
Ms. Vega besitzt ästhetisches Feingefühl dafür, wie ihre Produkte optisch und akustisch zu präsentieren sind, und sie behält über alles, was von ihr veröffentlicht wird, die Kontrolle. So wurden in Europa ihren Platten deutsche, englische und italienische Übersetzungen beigelegt, so stattete sie ihr drittes Album mit einer Reihe von Collagen und Bildern aus, die den Songs eine optische Dimension hinzufügen. Sie kümmerte sich auch selbst um die Gestaltung eines neuen, ähnlich wie "Days Of Open Hand" aufgemachten, wunderhübschen Büchleins mit allen ihren bislang erschienenen Songtexten, ein kleines Poesie-Album im allerbesten Sinne: "Ich suchte die Bilder für das Buch mit aus, ich wollte außer den Songs noch andere Texte von mir darinhaben, außerdem ein Interview, das zeigt, wie ich über Sprache denke." Und der Sprache gilt ihr kreatives Interesse vor allem anderen. "Ich sehe mich in erster Linie als Schreiberin, denn das Schreiben ist die interessanteste Sache für mich", betont sie mehrfach, und man glaubt es ihr auf's Wort. "Ich liebe das Songschreiben; in meinem Zimmer zu sitzen, dort eine Art Rausch zu spüren, in einen regelrechten Trance-Zustand zu geraten und nach drei Stunden mit etwas Neuem und Anderem wieder herauszukommen, was ich vorher noch nicht hatte. Das macht mich an und verschafft mir Glücksgefühle." Sie versucht, einem Bildhauer gleich, Kunstwerke zu modellieren - ihr Rohmaterial ist die Sprache.
Mit Papier und Stift jagt sie ihrem selbstgesteckten Ziel nach: "Gerade bei meinen besten Songs habe ich das Gefühl, daß die schon irgendwie in meinem Kopf drin waren, und ich nur versucht habe, den Song richtig zu packen und niederzuschreiben. Dazu brauche ich das Feeling von Papier und Bleistift, und dann versuche ich so zu formulieren, daß ich kaum etwas korrigieren muß, höchstens mal ein Wort. Meine Rohentwürfe sehen immer schon sehr komplett aus, jedenfalls die besten. Die wirklich guten Songs schreiben sich von selber. Ich brauche vielleicht zwei Stunden dafür, allerdings, nachdem ich Monate darüber nachgedacht habe. Es ist wie beim Billard: Du denkst dir lange Zeit alle Möglichkeiten durch, und schließlich weißt du, mit welchem einen Schuß du den ganzen Tisch leerkriegst. Und genau dann setzt du dich hin und schreibst den Song. Alles andere, finde ich, ist frustrierend und macht dich krank. Für 'Luka' habe ich zwei Stunden gebraucht, komplett, mit Melodie und allem. Es ging nur darum, den Einstieg zu finden. Und als ich den hatte, da kam der Song praktisch von alleine." Den immerhin elf Strophen langen Antikriegs-Song 'The Queen and the Soldier' schrieb sie in der gleichen Weise: "Monat um Monat habe ich das Thema umkreist. Zuerst hatte ich die Idee von zwei Königinnen, einer roten und einer weißen, die auf einem Berg im selben Schloß leben und sich bekämpfen. Dann dachte ich mir, was soll der Quatsch? Das hat doch keinerlei Bezug zu irgendetwas. Also ließ ich die eine Königin fallen. Blieb mir die andere Königin allein übrig, das war auch nicht besonders interessant. Dann kam mir der Gedanke, daß ja irgendwo eine Schlacht sein könnte - und da fiel mir schließlich der Soldat ein, der an ihre Tür kommt. Aber das hat Monate gedauert, diesen Punkt zu erreichen. Ab da war alles klar, alles paßte zueinander, und auch dieser Song schrieb sich hinterher wie von selbst. Drei Stunden lang habe ich wie besessen gearbeitet. Man möchte dann niemanden sehen, nichts essen, nur dasitzen und das Ding beenden, das ist das einzige, das in dem Moment zählt. Es ist fast wie eine Performance - und der Song, der schließlich dabei herauskommt, ist gleichsam eine Aufzeichnung dieser Performance. Die Worte und die Melodie werden zu einem Protokoll deiner Gefühle und Erfahrungen während der Zeit des Schreibens. 'The Queen and the Soldier' war nach dem ersten Entwurf praktisch vollendet."
Und wie ist es bei den Titeln, wo es nicht so gut läuft? "Es gibt dann noch die Songs, die sind zusammengeschnitten und zusammengeklebt. Ich sehe die Nahtstellen, sehe ständig, wo ich geschnitten und geklebt habe, erkenne, daß da kein abgeschlossenes Ganzes vorliegt. Die schlimmsten sind die, die so dahinsiechen. Du möchtest sie am liebsten wieder loswerden, aber schaffst noch nicht mal das, das ist wirklich übel. Manche fangen prägnant und klar an, und dann zerfasern sie. 'Men In A War' war so einer. Die erste Strophe kam schnell und war unmißverständlich; ich dachte mir, genau das will ich jetzt auf den Punkt bringen, aber dann, oh je. Ich fragte mich schließlich, was ich eigentlich damit sagen wollte, und begann so, mich vom Thema zu entfernen. Bis heute weiß ich nicht, ob 'Men In A War' nun eigentlich das zum Inhalt hat, und was ursprünglich einmal damit beabsichtigt war, habe ich vergessen." Ihr Bestreben ist, oberflächliche Wiederholungen zu vermeiden, beim Schreiben ein Terrain zu betreten, das für sie selber neu ist. "Das bedeutet allerdings, daß du ab und zu auf der Nase landest und manchmal gefragt wirst: 'Von was redest du überhaupt? Warum willst du einen Song schreiben über einen Mann, der keine Glieder hat? Was soll das nur? Warum hörst du mit dem Blödsinn nicht auf und schreibst wieder normale Songs?' Einige Leute sind sehr böse auf mich, weil ich das erste Album nicht einfach noch einmal aufgenommen habe. Sie kommen an und sagen ganz im Vertrauen: 'Jeder findet dein erstes Album am besten. Wann wirst du endlich noch einmal so eins machen?' Andere Leute sagen genauso vertraulich: 'Die neueste Platte ist definitiv deine beste, die persönlichste, die komplexeste.' Und noch andere meinen: ''Solitude Standing' hat es wirklich gebracht. Das ist mit Sicherheit deine beste Platte.' Das einzige, was ich da machen kann, ist doch, alle diese Kommentare nicht zu beachten." Und wieder muß sie lachen.
"Wenn du nicht wenigstens manchmal versuchst, deine Grenzen weiter auszudehnen, wenn du immer mit dem zufrieden bist, was du eh schon kannst, dann bekommst du keine echte Inspiration. Was halt auch zur Folge haben kann, daß du dich irgendwo ganz hoch droben in den Wolken befindest. So ist es mir beim letzten Album ein paarmal gegangen. Du steckst dir hohe Ziele und setzt deinen ganzen Ehrgeiz daran, sie zu verwirklichen. Ich bin mir nicht sicher, alles das erreicht zu haben, was ich mir für diese Platte vorgenommen hatte. Aber du mußt dir die Zeit nehmen, in der du versuchst, etwas Einmaliges zu bewerkstelligen. Manchmal ist es auch ganz gut, etwas sehr Einfaches zu schaffen, etwas, das auch andere Leute schon vor dir gemacht haben. Wenn du etwa mit Holz arbeitest, dann ist es eine sehr gute Sache, einmal einen gewöhnlichen Stuhl herzustellen. Wenn du stattdessen versuchst, einen Stuhl zu bauen, der auch als Tisch und als Geschirrspüler herhalten kann, dann bekommst du Probleme. Du landest dann bei etwas, das überhaupt keinen Sinn macht. Es wird zwar einzigartig sein, aber niemand wird etwas damit anfangen können. Ich denke gerade über mein nächstes Album nach. Vielleicht habe ich ja einige seltsame Tische gebaut, die auch gleichzeitig Stühle waren und so weiter. Alles ganz lustig, und ich bin froh, daß ich diese Songs verfaßt habe und ich brauchte das vielleicht auch; aber jetzt muß ich zehn einfache Songs schreiben. Und wenn ich nächste Woche nach Hause komme, dann werde ich hoffentlich die Zeit finden, mich hinzusetzen und sie in Worte zu fassen."
PS. Das im Text erwähnte Songbook heißt "Bullet In Flight", umfaßt etwa 80 Seiten, und man kann es für ca. DM 45 bei "Side by Side", Gottfried Keller Str. 10m, 6000 Frankfurt 50, Tel. 069/52 05 87, bestellen.
AJ