HÖRERLEBNIS 32: Tonträger


Die Liste 32

von Axel Jost

1. The Beatles: Yellow Submarine Songtrack (EMI)
2. Eric Bibb: Roadworks (Ruf)
3. Chumbawamba: WYSIWYG (EMI)
4. Deborah Coleman: Soft Place To Fall (Ruf)
5. Dave's True Story: Unauthorized (INAK)
6. Jolene: Antic Ocean (Blue Rose)
7. John Lennon: Imagine (EMI)
8. Iain Matthews: A Tiniest Wham (Blue Rose)
9. Elliott Murphy: Rainy Season (Blue Rose)
10. Bob Neuwirth: Havana Midnight (INAK)
11. The Nighthawks: Still Wild (Ruf)
12. Michael Penn: MP4 (Sony)
13. Lou Reed: Ecstasy (WEA)
14. The Schramms: 100 Questions (Blue Rose)
15. Patti Smith: Gung Ho (BMG)
16. James Solberg: The Hand You Dealt (Ruf)
17. Steely Dan: Two Against Nature (RCA)
18. Paul Weller: Heliocentric (Island)
19. Neil Young: Silver & Gold (WEA)
20. Warren Zevon: Life'l Kill Ya (Sony)

In der Hoffnung, dass dieser Sommer extra lang wird, gibt es heute eine entsprechende XXL-Liste, auf die man vielleicht in der einen oder anderen lauen Nacht zurückgreifen wird.
Für etwaige Oldie-Parties im erlauchten Audiophilen-Kreis bietet sich zum Beispiel unsere Nr.1 an: Die Songs zum Beatles-Cartoon "Yellow Submarine" inklusive solcher Hits wie "With A Little Help From My Friends" oder "All You Need Is Love". Neu zusammengestellt, neu gemischt, klanglich besser als je zuvor - Superstimmung dürfte garantiert sein. Und der Titelsong mit seiner wunderbaren Geräuschkulisse (inkl. Blasmusik) in der Mitte sollte auch den müdesten Party-Muffel munter machen...
Country-Soul? Folk-Blues? Eric Bibb entzieht sich elegant solchen künstlichen Schubladisierungen. "Roadworks" ist eine lockere Live-Platte des 48-jährigen gebürtigen New Yorkers; sie klingt dermaßen natürlich und ruhig, dass man glatt meint, eine sehr gute Studioaufnahme vor sich zu haben. Bibb ist Menschenfreund und Optimist - und das bringt er in seinen Songs zum Ausdruck, egal ob er mit seiner 3-Mann-Band Traditionals ("Goin' Down Slow") oder Eigenkompositionen ("New Automobile") auf die Bühne bringt. Die Platte ist ungemein luftig und leicht (sie gilt dem einen oder anderen sogar als "Kopfhörer-Tipp"), ohne sich bei den Zuhörern billig einzuschmeicheln.
Härtere Kost jetzt, zugegeben: Chumbawambas WYSYWIG hat's faustdick hinter den Ohren, und das fängt schon beim (zunächst so harmlos wirkenden) Cover an. Auf der Silberscheibe dann nehmen die Jungs und Mädels in Form einer schrägen Revue die heutige Welt aufs Korn und entdecken dabei, dass Calvin Klein ein Loch in seiner Unterhose hat. Die Songs fließen ineinander, und unterscheiden sich doch völlig, da kaum ein Musikstil oder Instrument ausgelassen wird - ein veritabler und damit nicht ganz unanstrengender Parforceritt. "She's Got All the Friends That Money Can Buy" heißt ein Song - man sollte sich lieber diese Platte zulegen, jedenfalls sofern man sich gerne beim Musikhören überraschen lässt und mit sozialkritischem Humor der britischen Sorte etwas anfangen kann...
Handfest-weiblichen Blues mit kräftigen Rock-Elementen bietet Deborah Coleman auf ihrem zweiten Solo-Album "Soft Place To Fall". Jim Gaines (Santana, Luther Allison) hat die Platte produziert - und so bekommen wir einen vollen Breitbandsound, der ins Blut und in die Beine geht. Deborah zieht als Songschreiberin, Sängerin und Gitarristin alle Register für einen swingenden Blues-Rock, den man mindestens genauso gerne auf die Ohren wie auf die Beine wirken lässt.
Irgendwann, so denke ich, nahmen sich die Herren Chesky vor, die coolste Platte des Universums zu produzieren. Es ist ihnen gelungen. "Unauthorized" sollte man im Neon-Ambiente der neuesten Großstadtbar hören, und das am besten alleine, mit einem bunten Drink in den Fingern. Songautor und Gitarrist David Cantor ist ein Nachfahre der hippen Beatniks, die einst im New Yorker Greenwich Village ihre Verse schrieben. Seine Songs sind maßgeschneidert für die weibliche Stimme von Kelly Flint, die bei Cole Porter oder Miles Davis erotische Träume verursacht hätte. "Dave's True Story" ist musikgewordene Reminiszenz an die amerikanischen späten vierziger Jahre, an schicke Cocktailkleider, weite Anzüge und chromblitzende offene Straßenkreuzer in der Hitze der nächtlichen City.
Wunderbar einlullen, ohne müde zu machen, können die allzeit präsenten Gitarren auf Jolenes "Antic Ocean". Und obwohl die Band aus waschechten Amerikanern (aber halt aus New Orleans, das macht alles anders) besteht, kommt im Song "Constantinople" durchaus orientalisches Flair auf. Meine persönlichen Highlights sind freilich die Titel, auf denen die "Continental Drifters" mitwirken - abwechslungsreiche no depression music at its best.
Nun wird's ernst, ehrlich. Denn wenn man so in die Jahre kommt, dann überkommen einen ab und an so Flashs à la: "Dass ich so was noch erleben darf!" Und gerade jüngst durchzuckte mich ein solcher, als ich John Lennons Jahrhundert-LP "Imagine" in der Neu-Überspielung hörte. Wobei: Ich habe erst eine kurze Weile reinhören müssen - das Piano-Intro im Titelsong hört sich nämlich nach demselben dünnen Pappkarton an wie auf der alten Ausgabe. Aber mit jedem Song wird es deutlicher: Die Neuauflage ist ein absoluter Hammer. Da tun sich völlig neue Klangwelten auf, da hört man Dinge, die vorher schlicht nicht da waren, da wird vieles deutlicher, strukturierter, präziser, klangstärker; man hört Songs wie "Gimme Some Truth" oder "How Do You Sleep?" schlicht zum ersten Mal. Als "Imagine" als Vinyl-LP auf MFSL erschienen war, habe ich für DAS OHR 18 (März 1987) ein Interview mit KLAUS VOORMANN gemacht, der auf sämtlichen "Imagine"-Stücken Bass gespielt hatte. Zur Feier der neuen CD haben wir Ausschnitte aus diesem Interview auf die Hörerlebnis-Homepage (Link zum Interview) gestellt. Noch ein letztes: Nicht nur, dass die Scheibe fantastisch klingt, auch das Booklet ist mit vielen Fotos und den Songtexten sehr ästhetisch gestaltet.
Iain Matthews bringt eine wunderbare Platte nach der anderen heraus, aber bei seiner letzten Tournee hier zu Lande spielte er in nachgerade winzigen Sälen. Warum ist das so? Ich weiß es nicht - auch "A Tiniest Wham" ist perfekt gesungen, wunderschön arrangiert, noch ein Tick melancholischer vielleicht als Iains frühere Platten, vor denen sich die neue Produktion wahrlich nicht zu schämen braucht. 35 Jahre kontinuierliches Musikschaffen, Mitbegründer der britischen Folkszene (Fairport Convention), Mitwirkender bei einer der meistgesuchten Sammler-Platten (PLAINSONGs "In Search Of Amelia Earhart") - wann endlich wird ein breiteres Publikum die schiere Größe von Iain Matthews erkennen und schätzen lernen? Womöglich jetzt, da es in einer limitierten Auflage noch die CD "A Live Wham" als Dreingabe mit dazu gibt?
Ein musician's musician ist auch Elliott Murphy, immer auf Achse, immer auf der Suche nach der musikalischen Erfüllung, der künstlerischen Anerkennung. Ab und an schreibt der Unermüdliche noch einen Roman oder wirkt in einem Film mit (etwa Fellinis "Roma"). Und so erzählen auch seine Songs Geschichten aus dem Leben ("The Day After Valentine's Day") oder reflektieren über Stimmungen und Gefühle ("I Wish I Was Picasso"). "Put It Down" ist sogar 11 Strophen lang und dauert über 10 Minuten - Freunde erstklassiger Singer/Songwriter-Musik, was will man mehr?
Bob Neuwirth - ein weiteres Beispiel für jemandem, der im Alter immer besser und unternehmungslustiger wird - zog er doch für eine Weile in eben jene kubanische Hauptstadt, um dort mit lokalen Musikern seine Songs einzuspielen. Ein kubanischer Arrangeur (José Maria Vitier) nahm sich der Sache an und verpflichtete ein kleines Ensemble (neben der Percussion ebenfalls herausragend: das Piano von Vitier selbst) und schuf mit "Havana Midnight" beileibe keinen plumpen Buena-Vista-Verschnitt, sondern ein eigenständiges, nachgerade konzertantes Ganzes, wie gemacht für die akustische Untermalung einer milden Sommernacht auf Terrasse oder Balkon...
Und nun wieder Party pur: "Still Wild" heißt die neue Scheibe der Nighthawks, die auch schon seit den frühen Siebzigern durch die USA touren, um das Publikum an ihrem Mix aus Blues, Soul und Rockabilly teilhaben zu lassen. Mark Wenners eigene Songs ("Guard My Heart") und knackige Klassiker (Willie Dixons "Tiger In Your Tank") verdichten sich zu einem Gebräu, das Nighthawk den Ehrentitel "the world's greatest bar band" auch für die nächsten Jahre sichern dürfte.
Schöne Songs mit Beatles-Flair - dafür steht seit seiner ersten LP "March" (1989) Michael Penns musikalisches Schaffen. Freundliche, friedliche, aber intelligent gemachte gitarren-orientierte Pop-Musik (Ehefrau Aimee Mann half tatkräftig mit) hört man folgerichtig auch auf seiner höchst empfehlenswerten neuen Platte "MP 4".
"Gitarrenorientiert" ist eher eine zu schwache Formulierung für die Musik von Lou Reed. Des Ex-Velvet-Undergroundlers wie immer extrem präsent aufgenommenen elektrischen Gitarren sind der ununterbrochen laufende Motor, der "Ecstasy" gut 77 lange Minuten antreibt. Das Entstehen einer gewissen Eintönigkeit ist dabei nicht zu leugnen, und diese wiederum ist wahrlich nicht jedermanns Geschmack. Reeds unaufhörlicher Sprechgesang wird sicherlich von manch Einem auf Dauer als nervig empfunden - absolut authentisch ist "Ecstasy" aber allemal.
Wer sich erst einmal an den Sound der Schramms gewöhnt hat, diesen melodiös-erdigen Gitarrenrock mit der kehligen, aber sehr vertraut-beruhigend wirkenden Stimme von Mastermind Dave Schramm, der möchte diesen liebgewonnenen Klang nicht mehr missen und freut sich auf jede neue Scheibe aus dem Schramms-Studio. Bedauerlich an dem neuen Produkt "100 Questions" ist allenfalls, dass die Scheibe mit knapp 40 Minuten recht kurz ausgefallen ist.
Mächtig, würdevoll und ernst kommt sie daher, die Poetin Patti Smith, die zu Beginn ihrer Karriere vor vielen Jahren zum Schrecken aller männlichen Musikliebhaber einmal geäußert haben soll, dass sie das Sexsymbol des Jahres 2000 zu werden gedenkt. Und in gewisser Weise hat sie sogar recht behalten: Kaum eine Performerin ist über die Jahre hinweg so sehr ihrem wilden, oft experimentellen Stil treu geblieben, hat so viel Emotion und ehrliche Leidenschaft gezeigt, hat sich so sehr dem Rhythmus ergeben - durchaus veritable Kriterien für sexuelle Ausstrahlung. Das Titelstück "Gung Ho" allerdings nimmt Bezug auf den Vietnam-Krieg, und da wird es für Nicht-Poeten eher schwierig: Was will die Dichterin uns wohl mit dem Satz "Nothing was more beautiful than Vietnam" sagen?
Und noch einmal geht die sprichwörtliche Post ab: James Solbergs "The Hand You're Dealt" hat nichts mit meditativer Tarotkarten-Mystik zu tun, sondern lässt es kräftig krachen. Solberg entspringt der kraftvollen Chicagoer Elektroblues-Szene und hat viele Jahre in Luther Allisons Band den musikalischen Leiter gegeben. Bratzende Schweineorgeln, uhrwerkgleich tickende (dabei zugleich swingende!) Rhythmusgruppen und dann gleißende, ausgiebig zelebrierte Elektrogitarren-Soli lassen nur einen Wunsch aufkommen: weiter hineinhören und sich wohlfühlen!
"Two Against Nature" ist seiner Zeit vermutlich gut zehn Jahre voraus und klingt doch kein Fitzelchen anders als - sagen wir mal - "Aja" aus dem Jahre 1977. Was lehrt uns das über den Fortschritt in der Rockmusik, über unsere Hörgewohnheiten oder über den musikalischen Geschmack von Walter Becker und Donald Fagen? Vermutlich gar nichts. Andererseits: Cooler Pop mit intelligenten und leicht zynischen Texten hat offenbar immer Konjunktur, zumindest dann, wenn er so gut gemacht ist wie bei Steely Dan: glasklar produziert, mit sehr präsenten Chören und Bläsern und dem stets angesagten postmodernen Jazzclub-Feeling.
"Gereift!" war das erste, das mir einfiel, als ich das neue Album von Paul Weller, ehemals wilder Frontmann der punkigen Mod-Band The JAM, hörte. Balladesker sind die Songs jetzt, aber mindestens genauso britisch und kritisch wie anno dazumal - kein Wunder, dass er mehr und mehr als der "King of Britpop" gilt. Autobiographische Songs wie etwa der Opener "He's the Keeper" und der Albumtitel ("Heliocentric") pflegen Wellers "Modfather"-Image auf akustisch durchaus angenehme Weise.
Wenn es so etwas gäbe wie eine heile Welt - eine Welt, in der die Leute friedlich miteinander umgehen, wo man sich gegenseitig respektiert und achtet - dann hätte Neil Young mit "Silver & Gold" den Soundtrack dazu geschrieben. Das einleitende "Good To See You" ist bereits von entwaffnender Herzlichkeit, und in diesem Stile geht es weiter - akustisch zumeist, mit nachgerade hingetupften Tönen und Klängen. Die Platte ist in der Tat der dritte Teil der "Harvest"- und "Harvest Moon"-Trilogie. Sie versöhnt auf ihre Art den Hörer mit dem Leben und der Welt - und Neil Young selber mit seiner alten Band: In "Buffalo Springfield Again" errichtet er ihr ein Denkmal. "Now I ain't sayin who was right or wrong", zieht er einen Schlussstrich unter die alten Fehden, und mit "like to see those guys again and give it a shot" bittet er öffentlich um eine Re-Union. Zum Heulen schön, ehrlich. Wenn die Nacht traumhaft war, wenn der Morgen anbricht, und wenn dann noch jemand Lust auf Musik hat, so legen Sie einmal "Silver & Gold" auf und warten ab, was passiert ....
Werden wir zum Schluss doch wieder etwas nüchterner, denn egal wie schön das Leben auch gewesen sein mag, am Ende bringt es einen um: "Life'll Kill Ya" stellt Warren Zevon ohne falsche Romantik fest. Und nach diesem Motto hat er auch für seine neue Scheibe Songs komponiert, mit Titeln wie "I Was In the House When the House Burned Down" oder "For My Next Trick I'll Need A Volunteer": Nachdenken muss man schon, wenn man die Songs des alten (aber stets warmherzig-menschenfreundlichen) Zynikers ganzheitlich genießen will. Die Musik, gefällige Rock-and-Roll-Begleitung mit Gitarre, Bass und Schlagzeug, macht einem das Zuhören freilich leicht - und so eignet sich "Life'll Kill Ya" auch für die ruhiger gewordene Sommerfete zu späterer Stunde...

AJ