HÖRERLEBNIS 31: Musik


Man On The Road

BOB DYLAN`s

Never Ending Tour 1988 - 1999

Text & Fotos: Christof Graf

Die vielzitierte Never Ending Tour von Bob Dylan. Seit nunmehr 12 Jahren begleitet diese Bezeichnung Wirken und Schaffen Bob Dylans. Den Begriff hat er einst selbst geprägt. Mittlerweile hat er ihn längst definiert, kommentiert und auch schon wieder dementiert. Doch Kritiker wie Fans halten an dem Begriff fest und werden ihn wohl auch noch ins nächste Millennium hinüberretten.
Bob Dylan genießt seit spätestens 1966 das zweifelhafte Vergnügen eine Rocklegende zu sein, ein Mythos. Im Laufe der Jahre hat er dieser Rolle immer wieder neue Seiten abgewinnen können und es hat auch den Anschein, als ob er sich seit Anfang der 90er Jahre sehr wohl darin fühlt, den ,,elder statesman” des Rock zu geben. Hervorragende Konzerttourneen auf durchweg hohem künstlerischen Niveau sowie das sensationelle 1997er Album “Time Out Of Mind” haben dazu beigetragen, daß Dylan seine angeschlagene musikalische Reputation wiedergewonnen hat.
Regelmäßig hat Dylan in den letzten Jahren betont, einer der ausschlaggebenden Gründe, warum er noch immer etwa 100 Konzerte im Jahr absolvieren würde sei, daß dies sein Handwerk ist.

Bob Dylan - Always watching the river flow. Er etablierte sich spätestens seit ,,Time Out Of Mind” als elder statesman der Rockgeschichte.

Dylan, Mythos und Destruktion
“Ich bin Musiker, nicht einer, der sich ab zu mal eine Platte kauft. Für mich ist das alles mehr als nur Entertainment”, sagte Dylan 1997 bei einer Pressekonferenz mit europäischen Journalisten in London. “Das ist mein Job, mein Gewerbe, mein Handwerk”, fügte er hinzu und erklärte: “Auf der Bühne zu stehen ist für mich so natürlich wie das Atmen.”
Vielleicht erklären diese Aussagen, den Mythos um die Rocklegende ‘Bob Dylan’ weitaus präziser, vielleicht entsprechen diese Aussagen viel mehr der Wahrheit, als die vielfach kursierenden Spekulationen und Mutmaßungen über die Person Bob Dylan.
Möglicherweise hat Bob Dylan wie kein zweiter Künstler außer Andy Warhol den Geist der 60er Jahre mitgestaltet und die bis dahin bestehenden künstlerischen Grenzen überschritten und für andere geöffnet. Dylan hat größeren Einfluß auf die Rockgeschichte genommen als irgendein anderer Soloartist der 60er. Mit Alben wie “The Freewheelin’ Bob Dylan” (1963) und “The Times They Are-A-Changin’” (1964) vollzog er rasch den Übergang vom Traditionals singenden Folkie zum engagierten Sänger seiner eigenen neuartigen Song-Gedichte und etablierte somit das Genre der Singer/Songwriter. Ohne Dylan gäbe es vielleicht keinen Leonard Cohen und keine Joni Mitchell, würde die Welt ohne Neil Young, Tom Waits oder Nick Cave auskommen müssen.
Wichtiger noch für die Entwicklung der Rockmusik waren ‘Like A Rolling Stone’ (1965), der erste Top 3 Hit mit ernstzunehmenden Lyrics, sowie sein Auftritt beim Newport Folk Festival, als er seine Gitarre an einen Verstärker anschloß und den Rock’ n’Roll in die heiligen Hallen der engstirnigen Traditionalisten trug. Danach war alles möglich. 30 Jahre später ist Bob Dylan präsenter denn je: Er wurde bereits zum dritten Mal für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen und lieferte mit ,,Time Out Of Mind” ein hervorragendes Spätwerk ab.
“Ich bin der einzige, der diese Art von Songs noch spielt”, sagte er 1997 weiter und erklärte damit auch, was den Reiz seiner ‘Never Ending Tour’ ausmacht.

Das Konzert als Handwerk
Es ist der Reiz, jemandem zuzuschauen, der ein selten gewordenes Handwerk praktiziert. Der Reiz, jemanden auf einer Bühne in einem Konzertsaal anzutreffen, der das, was er tut, aus Überzeugung tut. Dabei zelebriert Bob Dylan seine Auftritte in einer Form, die kaum mehr mit herkömmlichen Begriffen und Definitionen zu erklären ist. Selbst einfache Bezeichnungen wie Musiker, Singer oder Songwriter werden dem Wirken Dylans nicht gerecht. Auch die ins Deutsche nicht eindeutig übersetzbare Bezeichnung ‘Performer’ erklärt Dylans Kunst nicht vollständig.
Dabei ist es nicht Kunst um der Kunst willen. Es ist viel mehr die Art und Weise, wie das Handwerk des Musizierens zu einer Kunstform wird. Dies tut Dylan nicht mit der Absicht Kunst zu schaffen, es ist lediglich das innere Bedürfnis und Bestreben, seiner Musik Ausdruck zu verleihen und seine Lebenseinstellung, sein Handwerk kunstvoll präsentieren zu wollen.
Dylan reduziert sich und seine Musik auf das Wesentliche. Es geht nicht um Botschaften, nicht um Legendenbildung, oder um das Schaffen von Mythen, sondern nur um das Bestreben, das zu machen, was man machen möchte und machen muß, wenn man sich für diesen Weg entschieden hat.
Genau diesen Weg beschreibt Bob Dylans unaufhörliche Konzertreise seit Juni 1988. Der Titel ‘The Never Ending Tour” ist dabei kein von ausgebufften Event-Managern kreiertes Marketingprodukt, sondern lediglich ein von Dylan selbst einmal entworfenes und schon längst wieder dementiertes Wortgebilde. Doch wie kein anderer symbolisiert genau dieser Begriff Dylans Konzertschaffen und seine unaufhörliche Produktion von Live-Konzerten. So ist auch zu erklären, warum seine weltweite Fangemeinde, die ihn Schritt für Schritt auf seinem Weg verfolgt an dem bereits vor Jahren dementierten Begriff immer noch festhält.
Jeder der Fans, die Dylan um die halbe Welt nachreisen, kann berichten, daß die Performance in den Momenten, in denen man einer besonders begnadeten Version eines Songs beiwohnen darf, ein magisches Band zwischen Performer und Zuhörer entstehen läßt. Jeder Fan würde andere Songs, verschiedene Konzerte nennen, bei denen er dies erlebt hat. Genau wie Dylan auf der Bühne erlebt man die selben Songs von mal zu mal unterschiedlich. Vielleicht ist es das, was die Meta-Ebene eines Songs ausmacht. Die Ebene, deren Zugang uns Dylan mit seinen Songs ermöglicht. Eine Ebene, auf der Musik, Text und Ausdruck zu einer Einheit werden.

Die Kunst der Performance
So, wie ein Tag wie kein anderer ist, so fangen auch Dylans Konzerte die Stimmungen von Augenblicken ein. In dieser Unberechenbarkeit, die von Dylans Musik dramaturgisch unterstützt wird, liegt der größte Reiz Dylans Songs und Konzerte zu erfahren. Nur im Erleben seiner live dargebotenen Songs gibt die Legende ihre Stimmungslage preis. Triumph vermischt sich mit Resignation, Arroganz mit Weltmüdigkeit. Musik wird dabei bluesig, rockig oder folkig intoniert. Sprache wird rhythmisch akzentuiert.
Per Definition ist die “Performance”, (—der Begriff kann nicht adäquat ins deutsche übersetzt werden, annäherungsweise verwendbar wären “Schauspiel”, “Aufführung”, “Vorführung”, —) eine künstlerische Ausdrucksform wie z.B. Schauspiel, Tanz und Musik, die vor einem Publikum aufgeführt wird. Der bestimmte Moment dieser Aufführung wird bei dieser Definition nicht sonderlich in den Vordergrund gestellt. Ein Moment, in dem etwas aufgeführt und etwas mit anderen geteilt wird. Im Moment des Aufführens duldet der Künstler einen Kontrollverlust, weil er sein Werk durch die Aufführung aus der Hand gibt und dem Zuhörer/Zuschauer zur Verfügung stellt. Auch wenn ein Künstler sein Privatleben noch so sehr der Öffentlichkeit entzieht, in diesem bewußten Moment des Aufführens, gibt er immer auch ein Stück von sich selbst preis. Man muß sich im Erleben dieses Moments darüber bewußt sein, den größten Teil des Ichs eines Künstlers kennenzulernen. Je mehr der Künstler in diesen Moment investiert, um so mehr erfahren wir von ihm.
All die Eindrücke, die im Moment der Darbietung auf uns einwirken, können nie dieselben sein, als im Moment des Hörens einer Tonaufnahme. In einem Konzert erfährt man Kunst als work-in-progress. Darin definiert sich Kunst von selbst. Kunst, in der die Erfahrungswelt zwischen subjektiver Wahrnehmung und individueller Darbietung keiner kritischen Neubetrachtung standhalten muß, sondern als Einheit angesehen wird. Kunst so zu erleben, ist aber nur für ein Publikum möglich, das in der Lage ist, den Künstler als Performer zu erleben und gewillt ist, ihm mit Aufmerksamkeit und Interesse zu begegnen.

Mal mit E-, mal mit Akustik-Gitarre: Bob Dylan.Typisch gebeugte Haltung Anfang der 90er, Bob Dylan, 21.2.93, Petange, L.
Vielleicht ist diese differenzierte Sichtweise des “Performing Artist” nur für Anhänger besonderer Künstlerfiguren und nicht für das breite Publikum erkennbar. Erst, wenn man auf dem Weg ist, das Konzerterlebnis als ein Stück Kunst zu erfahren, ist man auf dem Weg zu verstehen, daß mit dem Konzert - lange vor der Tonaufnahme - bereits Kunst geschaffen wird. Deswegen sind Größen der Rockgeschichte wie z.B. Bob Dylan, Leonard Cohen, Van Morrison, Neil Young, Lou Reed und Patti Smith nicht nur Musiker, sondern auch Performer, die ihre Musik durch die Performance zur Kunst erheben. Egal, ob sie eigene oder auch Cover-Songs in ihr Konzert aufnehmen, egal, ob das Konzert gut oder schlecht läuft. Sie schaffen mit jedem Auftritt Kunst und vergrößern damit ihr künstlerisches Werk.
Seine Musiker schauen ihm auf die Finger, um zu wissen, welcher Song gerade angesagt ist, 2.7.96, Mannheim, D
Der spannende Punkt bei einem Dylan-Konzert ist nicht nur das Spielen der neuarrangierten Songs, sondern, daß durch das neue Arrangement der Performer Dylan den alten Song zu einem neuen macht. Es entsteht eine neue Form der Verständigung und Kommunikation zwischen dem die Kunst Produzierenden und dem sie Konsumierenden.
Es scheint, als läge in der Suche nach dieser Verständigung eine Art der Lebensverwirklichung solcher Künstler. Dylan zelebriert die Verweigerung vor den kommerziellen Bemühungen der Industrie. Dem Druck moderner PR und Marketinginstrumentarien gibt er ungern nach und besteht bei der Vermarktung seiner Konzerte noch immer auf nostalgisch anmutende Layouts für Konzertplakate und Anzeigen. Manchmal erinnert Dylan an einen fahrenden Sänger oder an die Troubadoure des Mittelalters. Wenn er auch Platten aufnimmt und seine Kunst vervielfältigt werden kann, so scheint auch er, ruhelos und rastlos, nur für den Moment der momentanen Aufführung zu leben. Dabei ist sich Bob Dylan sehr wohl der Qualität seiner Performance, vor allem aber seiner Songs, bewußt.
Kaum ein anderer Künstler seiner Zeit, von BB King, der noch heute als 74jähriger jährlich an die 250 Konzerte gibt, einmal abgesehen, ist derart kontinuierlich ,,on the road” wie Bob Dylan

Der Begriff der Never Ending Tour
Seit Juni 1988, als Bob Dylan seine zweite große US-Tournee binnen zwei Jahren am 7. Juni im Concord Pavilion, Concord/ California startete, ist Bob Dylan bis heute mit circa 100 Konzerten jährlich präsent.
Den Begriff der ,,Never Ending Tour” hat er längst im Booklet zum ‘93er Album ,,World Gone Wrong” bei Anmerkungen zu dem Song ,,Lone Pilgrim” dementiert:
,,By the way, don’t be bewildered by the Never Ending Tour chatter. There was a Never Ending Tour but it ended in ‘91 with the departure of guitarist G.E. Smith. That one’s long gone but there have been many others since then. ,,The Money Never Runs Out Tour” (fall of ‘91), ,,Southern Sympathizer Tour (early ‘92), ,,Why Do You Look At Me So Strangely Tour” (European’92), ,,The One Sad Cry Of Pity Tour” (Australia / West Coast American’92), ,,Principles Of Action Tour” (Mexici-Soth American ‘92), ,,Outburst Of Consciousness Tour” (‘92), ,,Don’t Let Your Deal Go Down Tour” (‘93) and others too many to mention each with their own character and design. To know which was which consult the playlists”.
Wie ist diese Bezeichnung aber tatsächlich entstanden? In der Dezember-Ausgabe 1989 des Q-Magazine erschien ein Artikel, in dem die Bezeichnung erstmals öffentlich genannt wurde. In einer anschliessenden Richtigstellung des Artikels wurde er weder von Bob Dylan noch von seinem ‘Press Representative’ Elliott Mintz dementiert. Die ‘Never Ending Tour” wurde somit zur ‘offiziellen’ Bezeichnung für Dylans Konzertaktivitäten.
“A Lot Of People don’t like the road”, sagte Dylan in einem NEW YORK TIMES-Interview 1997, “but it’s as natural to me as breathing. I do it because I’m driven to do it, and I either hate it or love it. I’m mortified to be on the stage, but then again, it’s the only place where I’m happy. It’s the only place you can be who you want to be. You can’t be who you want to be in daily life. I don’t care who you are, you’re going to be disappointed in daily life. But the cure-all for all that is to get on the stage, and that’s why performers do it. But in saying that, I don’t want to put on the mask of celebrity. I’d rather just do my work and see it as a trade.’’

Unscharf, unklar, aber immer zu erkennen: Bob Dylan.

Designs, Titel und Logos der Tourpässe, die den Charakter, die Stimmung oder einfach nur die Örtlichkeit der Tournee dokumentieren, geben den Teilabschnitten der ‘Never Ending Tour’ ihren Namen. Sei es nun die ,,Interstate ‘88 Tour, Part I-II” (1988), die tatsächlich als ‘Never Ending Tour’ bezeichneten Konzerte im Jahre 1988 (North America), 1989 (Europe, US and North America, und wieder US), 1990 (North America, Brazil and Europe, North America again, and US), die ‘Fast Break Tour’ (February 1990 und February 1991), oder seien es die ab 1994 meist nur noch als Spring-, Summer-, Fall- oder Winter-Tour bezeichneten Konzertreisen, die ‘Never Ending Tour’ hat für alle, die sich mit Bob Dylan auseinandersetzten bis heute noch zu keinem Ende geführt.
Und Dylan mag die Leute, die derzeit zu seinen Konzerten kommen, erzählte er in dem ‘97er Gespräch weiter: ,,They’re not aware of my early days, but I’m glad of that. It lifts that burden of responsibility, of having to play everything exactly like it was on some certain record. I can’t do that. Which way the wind is blowing, they’re going to come out different every time, but the intent is going to be the same. I’ve got to know that I’m singing something with truth to it. My songs are different than anybody else’s songs. Other artists can get by on their voices and their style, but my songs speak volumes, and all I have to do is lay them down correctly, lyrically, and they’ll do what they need to do.’’
Es mag bessere Musiker und bessere Dichter, bessere Künstler als Bob Dylan geben, keiner aber verbindet den Propheten, Poeten, Rebellen und Zyniker in einer Person so gut, keiner verkörpert die Verschmelzung zwischen Handwerk und Kunst, zwischen Tradition und Moderne in der Rockmusik besser als Bob Dylan.

Dylan on the road 1988 - 1999

1988
Nachdem er zu Beginn des Jahres 1988 in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen wurde, begann er im Juni mit einer kleinen Rock-Combo eine Konzertreise. Eine Konzertreise, die bis heute und trotz aller Dementis, sie sei bereits längst zu Ende, Dylan im Spiegel seiner Kreativität, seiner Stimmungen, Stärken und Schwächen zeigt. Eine Konzertreise, auf der man ihn kein Jahr nicht ,,on the road“ findet. Eine Konzertreise, die Dylans Mythos demythologisierte und ihm somit den Status eines ,,elder statesman“ der Rockgeschichte auf immer sicherte.
Angeführt vom Gitarristen und ,,Saturday Night Live”-Musical Director G.E. Smith und begleitet von Kenny Anderson (bass) und Christopher Parker (drums) begann damit eine ganz neue Ära Dylan`scher Live Performances, die Bob Dylan als ,,arbeitenden“ und an sich selbst arbeitenden Musik-Handwerker und im Wandel seiner eigenen Zeit zeigte.
1989
1989 stand mit ,,Oh Mercy” ganz im Zeichen von Dylans bestem Album seit Jahren. Darüber hinaus komplettierte Dylan seine Diskographie um das Live-Album ,,Dylan And The Dead” und die ,,Never Ending Tour” um weitere 99 Shows. Mit Alben und Tour setzte er sein Zeichen für den Übergang in eine weitere Dekade seines Schaffens.
1990
1990 outete sich Bob Dylan als der vielbeschäftigste ,,man on the road” im Pop-Business. Neben 92 Konzerten auf drei Kontinenten, zwei Alben (,,Under The Red Sky” und ,,Traveling Wilburys Vol. 3”), zwei Videos mußten insgesamt 110 verschiedene vorgetragene Songs sowie mehr ,,Special Guest”-Auftritte als je zuvor in die 90er Bilanz der ,,Firma” Bob Dylan aufgenommen werden. Doch 1990 war auch das Jahr mit dem größten Verschleiß an Musikern, bzw. Gitarristen. Im August und September unterzogen sich nach G.E. Smith`s Ausstieg im Rahmen der Tour fünf neue Gitarristen einem ,,auditioning“, darunter sogar Dylan`s Gitarrentechniker Cesar Diaz.
1991
1991 war nicht nur das vierte Jahr der ,,Never Ending Tour“, sondern auch das siebte Jahr mit mindestens einer Dylan-Tournee in Folge. Anstatt eines neuen Albums erschien die 3-CD-Box ,,THE BOOTLEG SERIES“. Darüber hinaus stand das Jahr 1991 ganz im Zeichen von Bob Dylans 50. Geburtstag und seinem 30jährigen Bühnenjubiläum, sowie weiteren 100 Konzerten mit insgesamt 107 präsentierten Songs.
1992
Die Gerüchte Ende 1991, Bob Dylan würde sich einige Zeit zurückziehen, wurden bereits mit dem Bekanntwerden der ersten Konzerttermine dementiert. Im Vergleich zum Vorjahr erlebte man Dylan in den 92 Konzerten dieses Jahres wieder lebendiger und konzentrierter.
Medienträchtigstes Ereignis des Jahres 1992 war die in mehrere Länder übertragene Konzert- und TV-Show ,,Columbia Records Celebrates The Music Of Bob Dylan“ in New York, bei der sich die Crème de la Crème der Rockmusik versammelte, um mit und für Bob Dylan zu feiern. 12 Tage später erschien das langerwartete neue Album ,,Good As I Been To You“.

Variierte sein Line-Up zwischen 1988 und 1999 20 Mal. 24.6.96, Differdange, L. Er spielte auf seiner Never Ending Tour bisher über 18.000, darunter über 300 verschiedene Songs in knapp 1200 Konzerten.

1993
1993 war trotz der an Qualität gewinnenden Konzerten noch immer ein Jahr, in dem sich Dylans Kritiker über seinen mißlichen Gesang und seine scheinbare Konzertunlust ausließen. Doch wäre er ,,on the road”, wenn er keine Lust dazu hätte? Würde er singen, wenn er seinen Gesang ,,mißlich” fände? Die Vergangenheit zeigte, Dylan tut nichts, was er nicht wirklich möchte. Doch Kritiker, wie sie in den meisten Medien der Provinz, in der Dylan auftritt, haben sich selten gründlich mit dem Sujet, über das sie schreiben auseinandergesetzt. Meist sind es Kritiker, für die nur die Legende zählt, nicht der Künstler und sein momentanes Anliegen. Nur so läßt sich erklären, warum viele gute Konzerte oft mit schlechten Kritiken belegt werden. Wohltuend wirken dagegen Kritiken, die trotz der gebotenen journalistischen Objektivität erkennen lassen, daß der Kritiker sich mit dem Sujet auseinander gesetzt oder zumindest gut recherchiert hat.
Bob Dylan präferiert es ab 1993 zunehmend, die Demontage seiner Songs in der Art zu forcieren, in dem er sie mit Klasse und Stil inszeniert. Klasse und Stil, die sich nach 1993 z.B. auch im Tragen von feinstem Tuch und edlerer Bühnengarderobe zeigt.
Dylan im Jahre 1993 wirkt also wieder wacher, konzentrierter und nüchterner, wenn er seinen eigenen Anachronismus in Frage stellt. Es ist also wirklich nicht so, daß die Lieder, die wir hören, in der Lage wären, der heroischen Illusion unterliegen, man könne mit ihnen die Zeit anhalten.
Und auch ein neues Album, wenn auch noch nicht mit dem langersehnten neuen Material, wurde mit ,,World Gone Wrong” veröffentlicht. Die Gerüchte, Dylan würde nach 1992 eine längere Pause einlegen, bewahrheiteten sich also nicht. Im Gegenteil, Dylan komplettierte die ,,Never Ending Tour” um weitere 80 Konzerte. Den Abschluß bildeten die vier in der Dylan-Gemeinde als mit die besten seiner Konzerte in den 90er Jahren zählenden ,,Supper Club Shows”; jeweils zwei Konzerte an zwei aufeinanderfolgenden Tagen Mitte November, die als Grundlage für eine MTV-Sendung gedacht waren.
1994
Nach den vielen Überraschungen der Vorjahre, war das Jahr 1994 eher frei von Überraschungen und auch ohne neues Album. Dieselbe Band spielte im annähernd gleichen Show-Format und weitere 104 Konzerte, mit insgesamt 1472 Songs, darunter 78 verschiedene. Zum sechsten Mal in Reihe tourte Bob Dylan durch Europa. Nach alter Gewohnheit von Dylan auch in diesem Jahr Konzerte in Ländern, in denen er noch nie zuvor aufgetreten war. Seit 1965 hatte Dylan in 27 europäischen Ländern 261 Konzerte gegeben. 1994 spielte er zum ersten Mal in Polen und der Tschechischen Republik. Außerdem wurde das Jahr 1994 von drei großen Konzerthighlights gekrönt: The Great Music Experience in Japan, Woodstock`94 - und die MTV-Unplugged Show Ende des Jahres.

Dylan in den 80ern
1995
Nachdem Dylan 1994 sowohl ausgezeichnete Konzerte vorgelegt hatte, wie auch Kritiken, die dies honorierten, war man 1995 darauf gespannt, ob und wie er an diese Erfolge und die Qualitätsstandards seiner vorjährigen Konzerte anknüpfen würde. Die Spannung stieg. Eine Spannung, die Dylan erwarteter oder unerwarteter Weise mit einer Qualitätssteigerung quittierte und auflöste. Dylan verbesserte nicht nur das Produktniveau, sondern auch die Produktivität im achten Jahr der ,,Never Ending Tour”. Mit 116 Konzerten überstieg die Zahl der jährlichen Live-Darbietungen sogar das Konzertjahr 1978, welches das bisher produktivste überhaupt war. Seine Band folgte ihm gehorsam. Am Ende des Jahres hatte diese Band exakt 300 Konzerte, darunter 10 mit Punk-Ikone Patti Smith im Vorprogramm in unveränderter Konstellation hinter sich gebracht.
1996
Dylan, what happened 1996? Nichts! Dylan tourte weiter. Mit 86 Konzerten, insgesamt 1256 Songs, darunter 99 verschiedene gab er, zwar nicht mehr ganz so viele Konzerte wie in den Vorjahren, doch Dylan war weiterhin präsent und sein neues Album ließ auch weiterhin auf sich warten. Änderungen in den Konzertkonzepten gab es kaum. Erwähnenswert: Die Show im Rahmen der ,,Quadrophenia”-Reunion von The Who im Juni in London/ UK und die zwei Shows im Rahmen der Olympischen Spiele in Atlanta/ USA. Dylan neigt seit 1994 zunehmend zu Events der besonderen Art.
1997
1997 ist ein ereignisreiches Jahr im Rahmen der ,,The Never Ending” Tour, die 95 weitere Shows offeriert und zunächst in Japan beginnt. Nach der Japan-Tour quittiert John Jackson seinen Dienst an der Gitarre und wird durch Larry Campbell ersetzt. Anfang des Jahres nimmt Dylan das erste Album mit neuem Material seit Jahren auf (,,Time Out Of Mind”), Ende des Jahres wird es promotet. Mitte des Jahres macht Dylan Schlagzeilen durch eine Erkrankung. Doch die ,,Zwangspause” hindert ihn nicht daran, seine Touraktivitäten, die kontinuierlich von Kritikern wie Fans hochgelobt werden, nach rascher Genesung fortzusetzen. Höhepunkt der Live-Shows ist Bob Dylans Auftritt vor dem Papst im Rahmen des Eucharistischen Welt-Kongresses in Bologna/ Italien. Höchstinteressant sind auch die für Dylan-Verhältnisse ungewöhnlich konkreten Äußerungen, die Dylan bei diversen Interviews Ende des Jahres von sich gibt.
1998
1998 war ein weiteres sehr geschäftiges Jahr, das sich Bob Dylan im Rahmen seiner ,,Never Ending Tour” selbst auferlegte. Auf vier Kontinenten, Nordamerika, Südamerika, Europa und Australien gab er insgesamt 112 Konzerte. Anfang des Jahres begann Dylans Konzertreise mit einem Double Bill-Set mit Van Morrison. Später stieß Joni Mitchell hinzu. Einige Konzerte mußten allerdings wegen einer Erkältung Dylans verlegt werden. Nach seinem `95er Konzert in Montpellier trat er auf dieser nunmehr elfjährigen Konzertreise zum zweiten Mal als Opener für die Rolling Stones im Rahmen deren ,,Bridges To Babylon”-World-Tour in Südamerika auf und im Oktober erschien ,,The Bootleg Series Vol.4, Live 1966, The ‘Royal Albert Hall’ Concert, das ,,beste Bootleg-Album aller Zeiten” als offizielle Veröffentlichung bei Columbia.
1999
Noch während der Rehearsals zur Winter-Tour`99 vom 21. bis 25. Januar in Florida/ USA erreichte die Nachrichtenagenturen die Meldung, Bob Dylan sei zum dritten Mal für den Literaturnobelpreis nominiert worden. Auch wenn Bob Dylan 1999 nicht mit dieser Ehre bedacht wurde, scheint allein die Nominierung anzudeuten, daß das Komitee bereit sein könnte, mit Traditionen zu brechen.
Doch die Musik Dylans spielt in der Gegenwart. Und diese ist auch noch zwölf Jahre nach Beginn der ,,Never Ending Tour” von Dylans Konzertreise geprägt. Seit Juni 1988 hat Dylan bis Ende Juli 1999 1109 Konzerte absolviert, nicht eingerechnet die vier Supper Club Shows und den ein oder anderen Auftritt, über den sich die Tourstatistiker noch streiten, ob er denn nun zur ,,Never Ending Tour“ gehört oder nicht.
Von Januar bis Anfang März zieht Dylan wie gewohnt durch die USA. Nach einmonatiger Pause setzt er die Tournee in Europa fort. Seine traditionellen Sommer-Festival-Besuche unterläßt er in dem Jahr, wo sich das Millenium seinem Ende entgegen neigt und einem Teil Europas eine totale Sonnenfinsternis beschert. Dafür tourt er zur Überraschung vieler mit Paul Simon von Juni bis September und im Oktober und November mit Phil Lesh And Friends durch die USA. Beide Künstler und ihre jeweiligen Bands sollten sich ähnlich wie 1998 bei der Tour mit Van Morrison bei der Eröffnung der Konzerte abwechseln und neben ihres eigenen Bühnenprogramms dann noch einige wenige Songs gemeinsam spielen.
Eine zweite Überraschung war, daß Bucky Buxter bei der US-Sommer-Tour nicht mehr mitspielte. Ihn ersetzte ab 5. Juni 1999 Charlie Sexton an der Gitarre.
Bereits im Herbst `99 sind Termine für eine Japan-Tournee im Jahre 2000 im Gespräch. Doch das ist bereits ein ganz anderes Kapitel der ,,Never Ending Story”...
Es ist wohl doch so, wie Dylan selbst sagt: ... Just life itself keeps me moving and motivated. There’s a certain non-transparency to life that keeps me motivated. I try not to work in a linear way. That’s incumbent on what’s given to you at any given moment. There might be inconsistencies to that, nevertheless, it does give you a degree of independence you might not get any other way...

Christof Graf ist Autor dreier Bücher über Leonard Cohen und hat soeben sein erstes Buch über Bob Dylan unter dem Titel: ,,Bob Dylan - Man On The Road - The Never Ending Tour 1988-1999” herausgebracht. Erhältlich bei éditions phi, P.O. Box 66, L-6401 Echternach, Luxemburg, Fax: 00352-72 83 25; eMail: phi@phi.lu
ISBN 3-88865-177-8, 208 Seiten, Hardcover, gebunden, 195 Fotos, Vorwort B.B. King, DM 42.-