HÖRERLEBNIS 27: Siemel


Vorverstärker: Siemel TU 10 / Phonostufe MC 20

Nouvelle cuisine...

von Wolfgang Vogel

Diesen direkten Bezug zur französischen Küche mußte ich mir an dieser Stelle einfach erlauben. Man wird es mir sicher verzeihen; schließlich sind die mit Frankreich verbundenen Vorurteile hierzulande im Positiven wie im Negativen nach wie vor mehr als zahlreich. Von der Sache mit der ‚Erbfeindschaft’ und Napolèon über Rotwein und Baguette bis hin zum ‚Moulin Rouge’ und dem Eiffelturm wird da selten ein Klischee ausgelassen. Eigentlich unsinnig, diese Denkweise; aber davon bin auch ich, der Autor dieses Berichts, keineswegs völlig frei - und so erlaube ich es mir im Folgenden, die aus dem französischen Vatan stammenden Siemel Vor- und Phonostufen mit einem guten Essen zu vergleichen. Denn wenn’s schon mal so bequem ist... - dann wünsche ich gerne “BON APPETIT”!

Der Aperitif: Die Optik
Die französischen Designer haben sich bei der Gestaltung der röhrenbestückten Vorstufe TU 10 auf das absolut notwendige Minimum an Bedienelementen beschränkt. Genau drei der aus dem Vollen gedrehten Knöpfe weist die silberblaue (gegen Aufpreis auch in ‚gold’ erhältliche) Metallfront auf: Ein/Aus, Lautstärkeeinstellung und Quellenwahl. Beim Einschalten wechselt eine zunächst rot leuchtende LED die Farbe auf grün, sobald die Röhren betriebsbereit sind. Die Phonostufe kommt artbedingt sogar nur mit einem Einschaltknopf sowie einer blauen (!) Betriebs-LED aus. Auch die Gehäusebreite beider Geräte paßt mit 39 cm nicht in das übliche Rastermaß der 43-cm-Komponenten. Die optische Eigenständigkeit der Siemel-Geräte zeigt mit ihrer kühlen Eleganz Mut zum eigenen Weg. Die sehr gut verarbeiteten Geräte weisen lediglich einen kleinen Kritikpunkt auf: den nur an den Seiten verschraubten Gehäusedeckel. Durch ein paar zusätzlich angebrachte Schrauben an der Gehäuseoberseite wäre diesem seine latente Schwingneigung leicht abzugewöhnen... Aber auch eine vom deutschen Vertrieb Spring Air angebotene Bedämpfung hilft da weiter.

Die Vorspeise: Die Technik
Bei der 4850,- DM kostenden Vorstufe TU 10 entschied man sich für eine Röhrenbestückung mit den jedem Röhrenfan bekannten ECC 86 bzw. ECC 88. Soll heißen, daß hier im Falle eines Falles keine Schwierigkeiten mit der Beschaffung von Ersatzröhren zu befürchten sind. Allerdings sind solche Probleme bei Vorstufen ohnehin selten. Im Falle TU 10 sorgt außerdem eine Einschaltverzögerung von ca. 2 min. 30 sec. (Herstellerangabe, ich hab’s nicht nachgestoppt!) für ein schonendes ‚Hochfahren’ der Röhren. Daran, das darf ich Ihnen versichern, gewöhnt man sich allerdings schnell. Sollten Sie allerdings einen Diesel-PKW älteren Baujahrs Ihr eigen nennen, entfällt auch diese Gewöhnungsphase...
Die Class-A Schaltung der TU 10 ist mit einem Frequenzgang von 1 Hz bis 500 KHz recht breitbandig ausgelegt, die maximale Kanalabweichung beträgt lediglich 0,2 dB. Alles im Rahmen also. Weitere Zahlen möchte ich Ihnen an dieser Stelle gern ersparen; doch sei gesagt, daß auch die übrigen Werte der 6,5 kg schweren TU 10 praxisgerecht ausgelegt sind und mir keinen Anlaß zur Kritik geben. Sie bietet vier Quellengeräten Anschluß, hat zusätzlich eine Tape-Schleife und weist einen unsymmetrischen Endstufenanschluß auf.
Die für 1850,- DM erhältliche Phonostufe MC 20 bietet eine Verstärkung von 60 dB für die feinen Signale von MC-Tonabnehmern an. Dabei stehen Eingangsimpedanzen von 12, 30 und 120 Ohm zur Wahl. Umschaltbar ist der Wert an der Rückseite des Gerätes. Der Eindruck der nahezu preußisch anmutenden Solidität wird durch das Gewicht von 3,5 kg noch verstärkt.
Sonstige Besonderheiten? Keine. Wenn man von der immerhin fünfjährigen Vollgarantie einmal absieht, die hierzulande auf alle Siemel-Geräte gewährt wird. Aber darauf kommt es ja letztlich auch nicht in erster Linie an - der Klang macht’s schlußendlich! Dennoch: schön, wenn man sich seiner Sache so sicher ist...

Die Hauptmahlzeit:
Die Musik (I. - Vorstufe TU 10) Nachdem ich den Vorverstärker aus dem Lande der Gallier in meine Anlage eingebaut hatte, griff ich zunächst zu etwas gängiger Popmusik: “Roxette” war angesagt. Das Album “Joyride” (EMI 7960482) enthält eine geballte Ladung gutgemachter Popsongs. Es macht mir nun mal von Zeit zu Zeit Laune, die einfach-fröhliche Musik von Per Gessle und Marie Fredriksson abzufeiern. So stellte sich mittels der Siemel-Vorstufe bei “Church Of Your Heart” sofort ein ungemein lebendig-warmes Klangbild ein. Da, wo bei Scheiben dieser Art sonst leicht die Gefahr eines blassen, langweilig-anämischen Klangs besteht, herrscht via TU 10 ein regelrechtes ‚sunshine-feeling’. Schon fast verdächtig, wie ergreifend so schlichte Songs wie “Fading Like A Flower” oder “Spending My Time” in den Raum strömen. Ein prägender Einfluß des Charakters der Vorstufe auf das gesamte Klangempfinden des Hörers ist bereits während der Einspielzeit spürbar; daran ändert sich auch im Laufe der Zeit nichts. Im anglophilen Raum spricht man in einem solchen Fäll gern von “a little bit of tube magic”. Womit nicht gesagt sein soll, daß es sich hier um Verfärbungen handelt - die TU 10 scheint nur eine besondere Affinität zu Stimmen zu haben.
Die dynamischen Möglichkeiten von Komponenten beurteile ich gern anhand von Country-Music. Wenn’s schlapp und müde tönt, dann fehlt es in der Regel bei dem betreffenden Gerät an Auflösung und Spielfreude, kurz: es klingt fade. Nur wenn die Abstimmung in puncto Dynamik gelungen ist, kann der Spaß an der Musik so richtig ins Spiel kommen. Gut gemachter Country hat stets etwas ehrliches, bodenständiges an sich, das nicht rationell erfaßbar ist. So zum Beispiel auch bei den Songs von Country-Superstar Travis Tritt. Sein Album “Greatest Hits - From The Beginning” (Warner Bros. 9362 - 46001 - 2) reicht von Balladen voller Schmelz (“Anymore”, “Foolish Pride” - die Schokolade mit der lila Kuh ist nix dagegen, ich sag’s Ihnen!) bis hin zu mit Schmackes vorgetragenen Uptempo-Nummern (“Put Some Drive In Your Country”, “T-R-O-U-B-L-E”, “Ten Feet Tall And Bulletproof”). Und das Duett von Mr. Tritt mit Marty Stuart “The Whiskey Ain’t Workin’ Anymore” versetzt mich mitten in eine typische C&W (= Country and Western) -Kneipe irgendwo im tiefsten Südwesten der Vereinigten Staaten. Dabei bleiben stimmliche Schwächen des Sängers ebensowenig im Verborgenen wie produktionsbedingte Unsauberkeiten. Dank der Fähigkeiten der Siemel TU 10 sind vorhandene Fehler jederzeit hörbar, werden aber subjektiv in den Hintergrund verbannt. Sie sind halt einfach nicht mehr so wichtig...
Der geradezu gefühlvolle Umgang mit der Musik, den die Röhrenvorstufe aus der Grande Nation an den Tag legt, zwingt mich geradezu, zum Blues zu greifen. Folglich muß Eric Clapton’s “Unplugged” (Reprise Records 9362 - 45024 - 2) mal wieder ran. In Sachen Auflösung und Natürlichkeit ist es immer noch eine der besten CD’s, die ich kenne. Gerade die etwas weniger bekannten Titel wie “Before You Accuse Me” oder “Nobody Knows You When You’re Down And Out” begeistern mich immer wieder. Da musiziert ein Künstler, der schon so ziemlich alles an Höhen und Tiefen im Leben durchgemacht hat, was überhaupt vorstellbar ist - und das hört man auch! Die Detailtreue der TU 10 ist in Bezug auf die Nuancen der Phrasierung von Claptons Stimme schon fast erschreckend. Dafür kann, wer denn will, eine leichte Weichheit der tiefsten Lagen bekritteln, ja, er (oder sie (?)) wird vielleicht auch eine winzige Spur an Präzision in den obersten Hochtonlagen vermissen. Doch wozu? Ich persönlich denke nicht daran, etwas zu bemäkeln. Dafür hat mich die Siemel TU 10 in den letzten Wochen mit ihrem geschmeidigen, wunderbar untechnischen Klang viel zu sehr verwöhnt. So auch bei der nach meiner Empfindung schönsten Ballade deutscher Zunge überhaupt: KARAT’s “Schwanenkönig” (1980, z.B. auf der “Castle Masters Collection - Karat”, CMC 3089, von 1993). Auf der mir vorliegenden CD mit Hits der Gruppe aus den Jahren 1977 bis 1986 sind auch Beispiele von recht zweifelhafter Aufnahmequalität enthalten. Aber dieser Titel klingt einfach toll. Die Wiedergabe über den Siemel TU 10: Einfach grandios! In depressiver Simmung gehört, nahm das Werk mich dermaßen mit...

Der Nachtisch: Die Musik
(II. - Der Phonoamp MC 20) Der MC-Phono-Vorverstärker der Siemel-Geräteserie (es gibt auch einen MM 20 zum gleichen Preis) erweist sich vom Klang her eher als Ergänzung zum TU 10 denn als klanglich in die gleiche Richtung abgestimmtes Phonoteil. Seine etwas ‚trockenere’ Gangart verhindert ein euphonisch überzeichnetes Klangbild bei der LP-Wiedergabe. Deutlich zeigte sich diese Diktion anhand der LP-Ausgabe von Eric Clapton’s legendärer MTV-”Unplugged”-Session (Reprise Records 9362 - 45024 - 1). Wo die CD-gefütterte Vorstufe mit ungebremster Energie in Klangfarben förmlich badete (beispielhaft: “Layla”, was sonst?), klang die Phonostufe deutlich nüchterner, ja teils sogar ein wenig gehemmt. Der letzte Druck fehlte irgendwie. Dies dürfte allerdings auch zumindest teilweise daran gelegen haben, daß sich mein MC-System (Lyra Lydian) erfahrungsgemäß bei einer Eingangsimpedanz des Phonoteils von 800 Ohm bis 1 Kiloohm am wohlsten fühlt. Mehr als 120 Ohm sind mit der MC 20 aber nun mal nicht drin. Ähnlich erging es mir mit dem wohl besten Werk der Gruppe “Huey Lewis & The News” mit dem Titel “Sports” (Chrysalis 205 845, erschienen 1983). Der kraftvolle Rock ‘n’ Roll der Band kommt mir vermittels der Siemel präzise, mit gutem ‚Punch’ zu Gehör. Lediglich das letzte bißchen an Schub und Spielfreude fehlt mir, um beispielsweise das “Heart Of Rock ‘n’ Roll” vollends zum Leben zu erwecken. Aber es sei nochmals gesagt: mit einer besseren Anpassung von System (evtl. ein EMT ?) und Phonostufe ist da noch mehr drin. Und auf einem hohen Niveau bewegen wir uns hier ohnehin...

Der Digestif: Das Fazit
Bei der Vorstufe Siemel TU 10 handelt es sich um ein makellos verarbeitetes, optisch ansprechendes Gerät mit sehr guten klanglichen Fähigkeiten. Auch ohne Dauer-Standbybetrieb ist die Röhrenvorstufe relativ schnell ‚voll da’ und verwöhnt mit einer vollen, saftigen Stimmwiedergabe, die schnell zu gefallen weiß. Die TU 10 addiert vielleicht ein klein wenig Leben zur Realität - but who cares? Wer eine Vorstufe mit hervorragenden musikalischen Fähigkeiten sucht, die es versteht, Charme zu versprühen, ohne dabei zu dick aufzutragen, sollte sich einmal mit der Siemel TU 10 beschäftigen. Wenn sie kleine Fehler macht, so verzeiht man sie ihr gern; schließlich macht die TU 10 sehr, sehr viel Spaß. Eine Kombination mit einer Transistorendstufe ist dabei absolut bedenkenswert, meine Spectral DMA 50 vertrugen sich mit der Siemel z.B. hervorragend. Die Phonostufe MC 20 empfiehlt sich als optisch passendes Phonoteil mit erfreulichem Klang-Potential zur Ergänzung der TU 10 nachdrücklich. Die leicht unterschiedlichen Charaktere der beiden Geräte ergänzen sich dabei sehr gut. Mit einer geschickten Auswahl der Spielpartner (Tonabnehmer!) ist es mit diesen Geräten möglich, auf lange Sicht Freude an der Musik zu haben, ohne an einen Austausch von Vorstufe oder Phonoamp zu denken. Ein schmackhaftes Menü, in der Tat - und keineswegs ein großer Teller mit wenig Eßbarem drauf..!

WV

Produkt: Röhrenvorverstärker Siemel TU 10 / Phonostufe Siemel MC 20
Abmessungen (BxHxT): 39cm x 10cm x 30,2cm (TU 10) / 39cm x 7,3cm x 19,5 cm
Gewicht: 6,5 kg (TU 10) / 3,5 kg (MC 20)
Preis (silberblau bzw. gold): 4850,- DM bzw. 5150,- DM (TU 10) / 1850,- DM bzw. 2100,- DM (MC 20)
Vertrieb: Spring Air Hifi Produktions- und Vertriebsges. mbH, Alte Andernacher Str. 21, 56637 Plaidt Tel.: 02632-9375-0, Fax: 02632-9375-11

gehört mit:
Plattenspieler: Linn LP-12/Ittok LVIII/Lyra Lydian
CD-Laufwerk: PS Audio Lambda
DA-Wandler: Wadia 64/4
Vorverstärker: Spectral DMC-6
Endverstärker: Spectral DMA-50 (2x als Monoblock)
Lautsprecher: Spendor 15/1 prof., Hales Revelation 2, Bünzow Obelisk 3W
Subwoofer: Klipsch SW-15
Kabel: MIT MI-330 (ohne Terminator), Magis, No Limits, JPS, Wadia ST-optisch
Zubehör: Netzkabel von Audio Agile, Ensemble, Phonosophie und XLO, Netzleiste von Audio Agile, Omtec Power Controller, Spikes von Etalon und Oehlbach