HÖR-ERLEBNIS-Forum 13: Interviewportrait
Heather Nova im Interviewporträt:
Walk This World With Me
von Axel Jost
Im derzeit vielstimmigen Chor aktueller junger Frauenstimmen fiel nicht nur mir HEATHER NOVA durch besonders berückende Sirenengesänge auf. Sie erfreute sich denn auch unmittelbar nach Veröffentlichung ihres de-facto-Debüts "Blow", einer Live-Platte, der außerordentlichen Zuwendung insbesondere der deutschen Musik- und Zeitgeistjournaille.
Unser kleines Blatt machte da keine Ausnahme: "Wunderbar weibliche, starke, zuweilen hypnotisch schöne Popmusik" notierte ich damals in der Liste Numero 8, und obwohl dort noch Acts wie die STONES oder STEELY DAN vertreten waren, widmete ein offenkundig sehr beeindruckter Schreiberling namens AJ der faszinierenden Debütantin die meisten Zeilen. Daß sie im HEF nun noch raumfüllender in Erscheinung tritt, hängt mit einem Interview zusammen, das ich mit der in Bermuda Geborenen vor ihrem Auftritt am 9.12.94 in Bochum machen konnte.
Doch der Reihe nach, denn zunächst gilt es, ihr neues Album vorzustellen (durch das sie immerhin auf das Cover des "Musikexpress" gekommen war), "Oyster" genannt und bei ROUGH TRADE erschienen. Überzeugte "Blow" zunächst eher durch Authentizität denn durch hifi-kompatible Klangqualität (um es einmal milde zu formulieren), so ist die neue Platte im Rahmen von popmusikalischen Maßstäben sehr anständig produziert, wenngleich man nicht von "audiophil" o.ä. sprechen sollte; dazu sind denn doch zu viele Overdubs und dergleichen darauf zu hören, aber die Abmischung läßt jedes Instrument und insbesondere Heathers Stimme sehr schön zur Geltung kommen, und die eingesetzte Technik stört das musikalische Erlebnis eigentlich recht wenig.
Einigen Nova-Fans der ersten Stunde andererseits ist die Platte aber schon wieder zu glatt und kantenlos produziert. Den Unterschied kann man besonders an den Songs merken, die es schon auf der Live-Aufnahme gab: Diese kommen nun als funkelnde Brillanten daher und nicht mehr als ungeschliffene Edelsteine; ihrer inneren Schönheit tat das studiomäßige Aufpolieren freilich keinerlei Abbruch, nur ist ihre Komponistin dank der auch optisch hübsch ausgestatteten CD (Booklet mit Songtexten und Grafiken) nunmehr ein Fall für den Massenmarkt geworden. Aber warum sollen sich in diesem ozeangroßen Absatzgebiet nicht auch einige wertvolle Perlen finden lassen, hier eben zwischen den beiden Schalen einer "oyster"?
Musikalisch gesehen hat diese Auster weder eine harte Schale noch einen weichen Kern, sie gefällt stattdessen durch einen gleichmäßigen, sehr eleganten, ein wenig kammermusikalisch orientierten Drive, der zum einen seine Herkunft von den alten Meistern à la VAN MORRISON und NEIL YOUNG nicht verleugnet, zum anderen aber durch ungewöhnliche Elemente wie z.B. sanft einfließende Reggae-Linien gehörig aufgemöbelt wird. Zur besinnlichen Grundstimmung tragen weiterhin der umfassende Einsatz akustischer Gitarren und das von NADIA LAMMAN ebenso einfühlsam wie rhythmussicher gestrichene Cello bei. Wesentlichstes musikalisches Stilelement ist jedoch Heathers kraftvolle und feste Stimme, die in extrem hohen Lagen schier endlos verweilen kann, um dort langgezogene Melodiebögen zu spannen. Sie läßt ihre fiebrig gewordenen Hörer gerne minutenlang im unklaren, ob die Klänge sich noch steigern und auf einen explosiven Höhepunkt zutreiben oder irgendwann ausklingen werden. So ähnlich - mit lautmalerischen Tonfigurationen zwischen Liebeslust und Mystizismus - muß schon LORELEY die armen Rheinschiffer um den Verstand gebracht haben.
Inhaltlich geht es der zierlichen Musikantin nicht so sehr um das Erzählen von Erlebnissen und Geschichten, sondern um die Darstellung von Gefühlen und Seelenzuständen. Neben der poetisch verbrämten Zustandsbeschreibung von Beziehungskisten sind ihre großen Themen die drängende Suche nach Sinn und die sehnsüchtige Begierde nach höherem Bewußtsein - dargeboten vor dem dramatischen Endzeit-Szenario, so wie es sich für eine Repräsentantin der in den Medien leicht überstrapazierten "Generation X" geziemt. Die Songschreiberin spart auch nicht mit sexuellen Anspielungen und Anzüglichkeiten, läßt diese Zweideutigkeiten jedoch andererseits in einem recht unverfänglichen Zusammenhang stehen, so daß der (männliche) Hörer/Rezensent sich nie ganz sicher ist, ob seine einschlägige Phantasie nicht schon wieder mal im Begriffe ist, ihm einen Streich zu spielen.
Lassen wir ein paar Beispiele für sich selber sprechen: "I want you to come and walk this world with me" aus "Walk This World", dem ersten Titel der neuen Platte, liest sich eigentlich völlig harmlos - wenn man aber gehört hat, wie sie die erste Hälfte des Satzes betont, welche Lüsternheit insbesondere auf dem abschließenden "come" liegt, wie der Satz da im Grunde schon zuende ist, der zweite Teil eher unerwartet nachkommt, dann denkt man doch etwas anders darüber... Und was wird sie wohl in "Throwing Fire At the Sun" mit der Strophe "Remember stealing oranges and how they bled. / And you're the one who showed me how to touch myself" gemeint haben? Wie bei manchen anderen der jungen Sängerinnen bleibt die angedeutete Erotik oft im rätselhaft Androgynen, ist auf keinen definierten männlichen Partner bezogen, was dem Reiz der ganzen Sache eher guttut, werden doch billige Platitüden (in die manche Machos so gerne verfallen, vgl. letzte STONES-Platte) auf diese Weise gekonnt vermieden. Ich will es auch bei diesen zwei Zitaten bewenden lassen (in der Hoffnung, daß möglichst viele HEF-LeserInnen sich auf die Suche nach weiteren machen - allzuschwer ist es nicht, fündig zu werden) - und mich nun dem Interview zuwenden, das ich kurz vor ihrem Auftritt im Bahnhof Langendreer mit einer hellwachen, selbstbewußten und sehr beredten Heather Nova aufzeichnen konnte. Bitte seien Sie nicht zu enttäuscht, aber ich habe es schlicht nicht gewagt, mich detaillierter nach den obigen Zitaten zu erkundigen...
AJ: Ich habe hier eine Ausgabe des ROLLING STONE, die komplett Musikern der sogenannten "Generation X" gewidmet ist. Man findet TORI AMOS, man findet LIZ PHAIR, aber kein Wort von HEATHER NOVA...
HN: Von mir ist in den USA auch noch keine Platte veröffentlicht worden. Die Sachen erscheinen dort jetzt erst; das ist eine Angelegenheit zwischen den verschiedenen Plattenfirmen.
AJ: Würde es dich denn stören, zwischen dem AMERICAN MUSIC CLUB und den BABES IN TOYLAND genannt zu werden?
HN: Nicht im geringsten. Da sind eine ganze Menge Leute dabei, die ich sehr mag. He, im Moment ist also doch eine richtig gute Zeit für Musik, nicht wahr?
AJ: Denke ich auch. Ich finde vor allem gut, daß da eine Menge junger Musiker dabei sind, die so an die alte Rock-Tradition anknüpfen.
HN: Wenn die nächstes Jahr wieder so eine Ausgabe machen, findest du mich auch darunter, bestimmt.
AJ: Du fühlst dich also dieser Szene zugehörig?
HN: Oh ja. Eine Menge dieser Musik dreht sich um Emotionen und Gefühle; es ist Musik mit einer gewissen Tiefe und Ehrlichkeit.
AJ: Derzeit hat ja Musik von jungen Frauen Konjunktur, die in einem ziemlich zweifelhaften Ruf stehen...
HN: In zweifelhaftem Ruf? Wie meinst du das?
AJ: Naja, wie stehst du zum Beispiel zu Bands wie L7 oder anderen aus dem "Girlie-Movement" [auf Deutsch gerne "Schlampen" genannt, AJ], die tragen ja gerne Miniröcke aus Seide kombiniert mit dicken Lederstiefeln?
HN: Sowas trage ich auch. Also ich denke, manchmal gibt es Strömungen in der Musik, die sind politisch ungeheuer wichtig, wie zum Beispiel die RIOT GRRRLS. Denen geht es nämlich in erster Linie darum, was Frauen in der Rockmusik heutzutage und in Zukunft dürfen; deren eigentliche Musik ist dabei gar nicht so sehr von Bedeutung, verstehst du? Aber was sie machen, ist sehr wichtig. Jetzt dürfen auch Musikerinnen laute Gitarren haben.
AJ: Und dann gibt es da noch Leute wie LIZ PHAIR, die sehr unverhohlen über Sex singen...
HN: (lacht) Also ich finde das durchaus bemerkenswert. Allerdings "benutzt" sie Sex gewissermaßen; sie weiß, daß sie Beachtung findet, wenn sie das Wort "blowjob" in einem Song verwendet. Ich würde sowas zwar nicht machen, aber...
AJ: Wäre es denn falsch zubehaupten, daß du keine sexuellen Metaphern und Bilder in deinen Songs verwendest?
HN: Oh ja, sicherlich tue ich das. Nur, wie ich schon sagte, nicht des Schockierens wegen. Aber in meinen Songs steckt eine ganze Menge Sexualität, klar.
AJ: Ja, äh...
HN: Ich sage nicht, daß sowas schlecht ist, aber es gibt dabei eine Grenze, da geht es nur noch darum zu verkaufen...
AJ: Das sagen einige Leute auch über deine neue Platte. Die meinen nämlich, die sei einfach zu clean und zu glatt.
HN: Oh nein, wirklich nicht. Obwohl das schon meine dritte Platte ist, war ich das erste Mal in einem Studio, und ich habe die ganze Zeit genau darauf geachtet, daß alles einfach bleibt, daß fünf Leute in einem Raum Musik machen. Pro Song haben wir nur zwei Tage gebraucht, und auf Effekte haben wir fast völlig verzichtet. Wir haben uns um geradezu klassische, universelle Einfachheit bemüht. Es geht um die Songs.
AJ: Ja, aber da sind doch Overdubs drauf...
HN: Wenige. Wir haben die Songs als Band live im Studio eingespielt und erst danach noch einige Overdubs gemacht. Ich glaube an die Spontaneität und die Frische beim Aufnehmen von Musik. Wenn man länger braucht als zwei Tage, dann tötet man leicht die Seele eines Songs.
AJ: Reflektieren deine Lieder eigentlich persönliche Erfahrungen?
HN: Ja. Das ist für mich eine Sache der Ehrlichkeit. Und ich denke, daß nur die wirklich ehrlichen Songs wirken und die Leute ansprechen.
AJ: Könntest du dir vorstellen, daß du durch deine Musik zum Vorbild wirst, z.B. für junge Mädchen?
HN: Hm, was ich mir wünschen würde, wäre, daß sie Selbstvertrauen daraus gewinnen. Das ist für mich mit die wichtigste Erkenntnis der letzten fünf Jahre, daß es so etwas wie eine Art innerer Kraft gibt; und der Glaube an diese Kraft kann einem mächtig Selbstvertrauen geben. Das kommt hoffentlich aus den Songs herüber, und das inspiriert hoffentlich auch meine weiblichen Zuhörer. Das ist mir das Wesentliche. Es geht wahrlich nicht darum, daß man mein Bild jetzt öfters in den Zeitungen findet.
AJ: Wie hat deine Karriere eigentlich angefangen?
HN: Ich komme von Bermuda, das ist eine britische Kolonie; daher habe ich also einen britischen Paß. Weil ich gerne Musik machen wollte, ging ich nach London, denn auf Bermuda kann man damit nichts werden. In England habe ich in unzähligen kleinen Clubs gespielt, manche nicht viel größer als eine Toilette. (lacht) Da waren dann vielleicht 15 Leute da, und ich habe mich oft genug gefragt, ob ich eigentlich verrückt bin.
AJ: Wie bist du dann schließlich "entdeckt" worden?
HN: Durch meinen späteren Manager. Wir haben einige Demo-Songs aufgenommen und sie an ein paar Leute im Business weitergegeben. Die fanden meine Songs gut, und so kam ich zu meinem Plattenvertrag. Und aus den Demos wurde meine erste Platte "Glowstars".
AJ: Die Platte war ja sehr limitiert, wird sie denn noch einmal wiederveröffentlicht werden?
HN: Das hoffe ich, aber erst später, denn sonst halten die Leute diese Aufnahme für meine aktuelle Platte, und das möchte ich nicht. Ich mag "Glowstars" sehr, ich habe die Songs dazu in meinem Wohnzimmer auf einer 8-Spur-Cassettenmaschine aufgenommen. Das ist echtes HiFi (lacht), arbeitest du eigentlich für ein HiFi-Magazin?
AJ: Ja, aber gerade Aufnahmen ohne viel Technik werden in diesen Kreisen oft sehr geschätzt.
HN: Meine Rede, solange die Seele eines Songs da ist, Gefühl und eine Melodie, solange sind andere Dinge nicht so wichtig. Ich denke, viele Leute setzen heutzutage mehr auf die Qualität der Musik als auf die bei der Aufnahme verwendete technische Ausstattung. Sie glauben vielleicht sogar eher den Songs, die nicht so gut aufgenommen sind (lacht). Sicher ist "Oyster" eine sehr gut klingende Aufnahme, aber das kommt einfach daher, daß das Studio, in dem wir waren, gut war.
AJ: Zu Beginn des Interviews hast Du von Politik gesprochen, aber Deine Songs befassen sich eigentlich nicht mit politischen Dingen.
HN: Ich schreibe Songs über die Themen, die ich am besten kann, über Gefühle, über Beziehungen und so etwas. Für politische Lieder bin ich wohl nicht so sehr der richtige Typ.
AJ: In deiner Biographie heißt es, du seist mit den Platten von NEIL YOUNG und VAN MORRISON groß geworden. Ich meine, das hört man deinen Songs an.
HN: Tatsächlich? Ich glaube, daß sehr frühe Einflüsse tief in dein Unterbewußtsein eindringen. Sie bestimmen dann später, wie du selber an das Songschreiben herangehst, sie vermitteln dir so eine Art Instinkt dafür. Ich jedenfalls setze keine bewußte Methode ein. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, daß so ein Song außerhalb meiner Kontrolle entsteht. Irgendwie beängstigend! Aber wenn ich mich mit meiner Gitarre hinsetze und Musik und Text ohne mein Zutun praktisch gleichzeitig kommen, dann entsteht mit Sicherheit ein guter Song.
AJ: Wie geht es dann weiter?
HN: Ich nehme den Song mit zur Probe, und meine Band und ich arrangieren ihn gemeinsam. Wir kommen aus verschiedenen musikalischen Richtungen, und jeder bringt seine Ideen ein.
AJ: Auch das merkt man, denn wie typische Singer/Songwriter-Aufnahmen hören sich deine Platten jedenfalls nicht an.
HN: Oh nein, das möchte ich auch gar nicht. Wir wollen auch nicht wie eine typische Indie-Band klingen. Mir ist die Abwechslung wichtig, die Frische, die Dynamik. Meine Musik soll wie eine abwechslungsreiche Reise sein.Und dann entschwand Heather Nova zum Essen, diese kleine, extrem dünne Person mit der gewaltigen Stimme und dem großen Herzen. Während ich meine Utensilien wieder verstaue, denke ich an viele der so erfolgversprechend gestarteten jungen Sängerinnen, von denen man - außer ihren alten Hits im Radio - nichts Neues mehr hört; oder weiß jemand, wie die neuen Platten von TANITA TIKARAM oder TRACY CHAPMAN heißen - sofern es überhaupt welche gibt? So ist wohl das Rad des Musikgeschäfts, von dem JOHN LENNON einst gesungen hat, es bewege sich immer schneller und verschleiße so manche, die einmal meinten, ganz groß daran mitdrehen zu können.
Und für Heather Nova steht die große Bewährungsprobe - Amerika - erst noch bevor. Auf der Bühne in Bochum freilich stellte sie ihr Talent als Performerin ausgiebig unter Beweis und verblüffte den ausverkauften Saal mit mächtiger Sangeskraft und kreativer Power. Vielleicht - nein hoffentlich - markiert dieser Abend in Bochum einen weiteren kleinen Schritt auf Heather Novas Weg um die Welt, der, ginge es nach Talent und musikalischer Qualität, ein erfolgreicher werden müßte; und ich würde ich liebend gerne ihrer Aufforderung Folge leisten und sie ein Stück weit dabei begleiten - wenngleich auch nur als enthusiastischer Hörer vor der heimischen Anlage...
AJ